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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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sich fragte, warum sein Leben so und nicht anders verlaufen sei. Warum er, Sohn eines Zürcher Sekundarlehrers, verurteilter Politaktivist, ewiger Student und entlassener Hilfslehrer an einem Gymnasium, nun als Professor an einer amerikanischen Universität unterrichtete, in der Neuen Welt, einem neuen Leben. Ein Emigrant mit ausgelöschter Vergangenheit und einem neuen Namen wie Millionen vor ihm. Nach Saras Selbstmord wollte er weg, nur weg aus der Stadt und dem Land, wo er alles verloren hatte.
    In Cuernavaca hatte er Marilyn kennengelernt, sie besuchte einen Spanischkurs, und er jobbte als Sportanimator in einem Hotel. Er war ihr in die USA gefolgt, in den Midwest, in jenes Leben, das ihm nun wieder so fern erschien. Sex war erst wieder in der Hochzeitsnacht erlaubt, darüber wachten ihre Eltern und ihre ganze baptistische Kirchgemeinde. In der Verlobungszeit hatte er sie zum ersten Mal betrogen.
    «Honey, ich sehne mich nach dir.»
    Vielleicht meinte sie es ehrlich, vielleicht war es eine Lüge, wie so vieles in ihrem gemeinsamen Leben, das mit einer Lüge begonnen hatte, seinem fehlenden Uniabschluss, dem gefälschten Diplom, der verschwiegenen Vorstrafe. Steven, Präsident der University of Iowa, hatte ihm zum Posten an der Deutschabteilung verholfen. Mit den Studenten war er gut zurechtgekommen und noch besser mit den Studentinnen, die fleissig waren und brav, jedenfalls nach aussen. Er hatte Affären, vor allem seit Marilyn nach der Geburt der Tochter ihren Kampf gegen das zunehmende Gewicht aufgegeben hatte.
    «Dann also. Mein Flug geht am Freitag, ich habe hier noch einiges zu erledigen.»
    «Ich freue mich so.»
    «Ich küsse dich.»
    Erst jetzt bemerkte er, dass sich die Tür einen Spalt geöffnet hatte. Es war Ariane. «Entschuldige, ich habe geklopft.»
    Es kam ihm vor, als habe sie ihn belauscht, aber warum sollte sie? Und was könnte sie gehört haben? Dass er seine Frau belog?
    «Die Spaghetti sind bereit. Kommst du?»
    In der Küche sassen ein paar Junge um den Tisch, unter ihnen die Frau mit der tätowierten Schlange, der er am Morgen begegnet war. Ein Berg Spaghetti dampfte in einer Schüssel.
    «Das ist Robert», stellte ihn Ariane der Runde vor. Zwei oder drei nickten ihm zu, redeten dann unter sich weiter. Ein Hagerer, der die Haare seitlich rasiert und in der Mitte zu einem Kamm aufgestellt hatte, sah ihn an. «Du bist also der Typ aus Amerika. Kennst du Bukowski?»
    Robert fielen seine Piercings auf, die aussahen, als hänge ihm der Rotz aus der Nase. «Ich war mal an einer Lesung», sagte er. «Ist aber schon lange her.»
    Doch der Mann hörte ihm gar nicht zu. Ariane brachte einen Stuhl, knuffte ihn zur Seite, stellte einen Teller vor Robert hin. «Help yourself.»
    Eine Pfanne mit Sauce ging herum, Parmesan zum Reiben, eine Flasche Rotwein. Robert bat um Wasser, drehte die Spaghetti ohne Appetit auf die Gabel. Er fühlte sich fehl am Platz unter den jungen Leuten, die durcheinander schwatzten und ihm weiter keine Beachtung schenkten. Er verstand zwar, was sie redeten, erfasste aber den Sinn nicht immer. Zürichdeutsch war seine Muttersprache, aber er war zu lange weg gewesen, um alle Zusammenhänge zu verstehen, alle Anspielungen und die aktuelle Szenensprache. Offenbar hatte man den Hausbesetzern ein Ultimatum gestellt, sie diskutierten, wie man sich verhalten solle. Ausziehen oder sich verbarrikadieren. Die Presse mobilisieren, eine Demo organisieren, Aktionen gegen die Wohnungsnot. Die Rede war von einem andern Haus, das leer stehe, das man als Alternative in Betracht ziehen könnte. In der Stadt gebe es mehrere besetzte Liegenschaften, die meisten Besetzer würden in Ruhe gelassen, bis Bauprojekte genehmigt seien, was oft Jahre dauere.
    «Hast du mit deiner Frau telefoniert?», fragte ihn Ariane.
    Robert nickte.
    «Du fliegst schon am Freitag zurück?»
    Er hob die Schultern.
    Sie stand auf, machte sich am Herd zu schaffen. «Wer möchte Kaffee?»
    Zwei oder drei hoben die Hand.
    «Robert?»
    «Nein, danke.»
    «Du bist scheints ein Professor», näselte der Hagere und fingerte an seinen Piercings herum.
    «Ich bin pensioniert.»
    «Und wie kommt Ariane zur Ehre deiner Bekanntschaft?» Die Runde verstummte, alle schauten Robert an.
    «Er hat Martin Kunz gekannt», rief Ariane vom Herd her.
    «Der Typ, der abgesoffen ist?»
    «Wir waren befreundet», sagte Robert.
    «Du bist also auch so ein Grüner?»
    «Zu meiner Zeit gab es noch keine Grünen. Wir waren Genossen.»
    «Wow!

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