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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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Wahrscheinlich war eine Eternitplatte gesprungen und der Dachkännel verstopft. Er müsste hinaus in den Regen und den Schaden beheben, doch alle Energie war von ihm gewichen. Das Treffen mit den alten Genossen hatte ihn aufgewühlt und traurig gemacht. Die Träume, Visionen, die Aufbruchstimmung und der Zorn von einst. Alles dahin. Verschüttet vom kleinbürgerlichen Müll und Mief, der sich um sein Leben aufgehäuft hatte. Ertränkt im Alkohol. Einmal hatte Alice von einer Kreuzfahrt zu reden begonnen, Kataloge mit Bildern von antiken Städten und Sandstränden lagen in der Küche herum. Nur über meine Leiche, war seine Antwort gewesen. Später hatte er es bereut. Später, als sie krank war, hätte er sie noch so gern auf eine Kreuzfahrt eingeladen, Hurtigroute oder griechische Inseln oder Antarktis. Wohin immer sie wollte. Alles hätte er für sie getan, aber sie redete nicht mehr und sah ihn nicht mehr an, starb stumm und verzweifelt und ohne Abschied.
    Pippo riss eine Dose Bier auf, nahm einen Schluck, doch die Brühe widerte ihn an. Er rülpste, zog die Bananenschachtel unter dem Gestell hervor, wühlte durch die Mäppchen. Zuunterst fand er den Kartonordner mit seiner Fiche. Schweizerische Eidgenossenschaft, Archiv der Bundespolizei. Aktenzeichen, Daten, schwarze Balken. Da und dort Stellen mit einem Sternchen markiert. Der sogenannte «Extremistenstempel» tauchte auch beim Bericht über die Aktion bei Moraves auf, Kommando Victor Jara. Sara hatte ihrem Vater, der Direktor bei der Firma war, den Schlüssel entwendet. Sie hatten eine Kopie machen lassen. Pippo sollte die Bombe im Rechenzentrum platzieren. Den Computer in die Luft jagen, mit dem die Firma ballistische Berechnungen für Waffensysteme durchführte. Ein Bekennerschreiben an die Presse würde die Verflechtung der Moraves mit dem chilenischen Regime und Pinochets Putsch öffentlich anprangern. Menschen sollten nicht zu Schaden kommen, Hermann und Robert würden kurz vorher an einer andern Stelle des Areals einen Alarm auslösen und so den Nachtwächter ablenken. Gewalt gegen Sachen, darüber waren sie sich einig, keine Gewalt gegen Menschen.
    Was waren wir doch für Dilettanten, dachte Pippo. Wäre es ihm gelungen, die selbst gebastelte Bombe unter den Computer zu schieben, den Wecker zu richten, der sie in einer halben Stunde zünden sollte, hätte das Bündel Dynamitstangen die Maschine in Stücke gerissen. Wenn der Zünder funktioniert hätte. Computer waren damals noch Ungetüme, die einen ganzen Saal füllten. Sara hatte ihm erklärt, welcher der roten Schränke die Zentraleinheit sei, das elektronische Gehirn des Ganzen. Aber so weit kam es nicht, zwei Männer vom Werkschutz mit einem Hund hatten ihn gestellt. Er hatte in Panik geschrien, als ihn der Hund am Ärmel packte. Eine Polizeistreife fasste wenig später Robert und Hermann. Verrat! Das war offensichtlich. Nur Sara und Toni wussten von der Aktion. Toni wartete in seinem Deux Chevaux an der Regensbergstrasse, damit wollten sie sich nach der Aktion nach Italien absetzen, Urlaub am Meer.
    Pippo suchte seine Lesebrille, aber er hatte sie verlegt. Ohne Brille erschienen ihm die Stellen auf seiner Fiche, wo Balken die Namen der Informanten abdeckten, nur als unscharfe dunkle Streifen. Egal. Allzu oft hatte er schon versucht, hinter den geschwärzten Stellen Buchstaben zu entziffern oder aus der Länge eines Balkens auf einen Namen zu schliessen. Sara oder Toni? Sara Hofstetter? Anton Tscharner? Beide etwa gleich lang. Nur bei dem Eintrag zum Streik in der Kugellagerfabrik war er überzeugt, Toni sei der Spitzel gewesen. Er hatte sie ins Messer laufen lassen und den Verrat auf Sara abgeschoben. War ihr Selbstmord ein Eingeständnis der Schuld, Verzweiflung über die gescheiterte Aktion oder die Entlassung ihres Vaters?
    Die alte Wut kochte in Pippo hoch, die Wut auf Tscharner und seine eigene Ohnmacht. Er schleuderte die Büchse an die Wand, Bier spritzte nach allen Seiten. «Verdammtes Schwein», schrie er. Hörte nicht, dass es klopfte. Erst als die Tür aufging, kam er zur Besinnung.
    «Papa. Was ist denn?»
    Pippo liess sich auf einen Hocker fallen, stützte den Kopf auf die Arme und kämpfte gegen ein Würgen im Hals.
    «Papa, ist was?»
    Er riss sich zusammen, wühlte mit einer Hand im Hosensack, suchte ein Taschentuch.
    «Nichts ist. Was willst du?»
    René hielt ihm ein Päcklein Papiertaschentücher hin. «Ich war in der Gegend, da dachte ich, ich schau schnell vorbei.»
    Pippo

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