Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
Vom Netzwerk:
gemischt und agitiert. Das stand in der Fiche mit allen Details, die nur er und ich kennen konnten.»
    Pippo leerte sein Glas in einem Zug, er atmete schwer, sein Gesicht war rot gefleckt vor Erregung. «Ich habe Martin Kunz angerufen, unsern Staranwalt und Umweltpolitiker. Habe ihm Kopien geschickt. Interessant, interessant, meinte er, ich werde was unternehmen. Wart nur, wart nur auf den richtigen Zeitpunkt. Aber der kam nie. Es waren gerade Wahlen, und er hatte die Hosen voll. Keinen Finger hat er gerührt in all den Jahren.»
    Der Bärtige mischte sich ein: «Drei Typen haben Martin auf Motorrädern nachgestellt. Eine Motorradgang.»
    «Gerüchte, Iwan. Martin war besoffen.»
    «Er hat in der Gräbli-Bar im Niederdorf den Mund zu voll genommen. Er wisse einiges über Tscharner, er könnte ihn fertigmachen.»
    «Wer erzählt solchen Schwachsinn?»
    Iwan rollte die Augen, legte den Finger auf den Mund. «Feind hört mit.» Dann stand er auf, ging zur Bar und holte eine Schale Wasser für seinen Hund.
    Robert hatte in den USA vom Fichenskandal gehört, aber er hatte sich nie um seine Unterlagen gekümmert. Er lebte in Iowa City, wo er nach langer Irrfahrt angekommen war, an einem Ort, wo ihn niemand kannte und sich niemand für seine Vergangenheit interessierte. Eine Oase inmitten von Maisfeldern, die sich endlos über Hügel und Ebenen dahinzogen, an einer Universität mit grosser Tradition in Creative Writing und Literatur. Er war Amerikaner geworden und sprach den Midwestern-Slang recht gut.
    «Ende des Palavers! Schreiten wir zur Aktion.» Der Satz klang wie ein Widerhall aus alter Zeit. Pippo hatte ihn ausgesprochen. Wie damals im Keller des Café Boy an der Kochstrasse. «Erinnert ihr euch?»
    Der schweigsame Pippo redete mittlerweile wie ein Wanderprediger. Schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Der Boxerkellner griente, schob mit Besen und Schaufel die Scherben eines Bierglases zusammen, das am Boden zerschellt war. Brachte Nachschub.
    Hermann steckte Robert einen Stöpsel ins Ohr, drückte ihm das Smartphone in die Hand. «Piazzolla, hör mal … Astor Piazzolla. Der berühmte Komponist des Tango Nuevo. Hat übrigens ein Stück für Salvador Allende komponiert.» Er schoss auf, tanzte mit wiegenden Schritten zwischen den Tischen. «Viva la revolución!» Dann wirbelte er herum, riss den alten Iwan mit. Ein paar Gestrandete von der Trauerfeier klatschten den Takt. Der Hund des Graubarts wuselte um die beiden und bellte, als treibe er eine Herde zusammen.
    Pippo verzog sein Gesicht. «Der wird nie mehr erwachsen.» Dann fasste er Robert am Arm, zog ihn zu sich heran: «Jetzt will unser Toni auch noch Stadtpräsident werden.»
    «Ich weiss, ich weiss. Ist mir scheiss», prustete Hermann, liess sich hechelnd aufs Lederpolster fallen.
    «Toni Stadtpräsident …» Robert suchte nach Worten.
    «Wir müssen was unternehmen. So geht es nicht weiter im Land.»
    «Schreiten wir zur Aktion!», krächzte Hermann.
    «Still, du Dummkopf. Mir ist es ernst.»
    «Mir auch, Genosse. Und wie …»
    Der Schwarze brachte Kaffee. Roberts Kopf sank auf die Arme, er war übermannt von Müdigkeit und dem Schmerz hinter dem Auge, der wieder zu bohren begann. Jetlag, dachte er. Und das Bier.
    Er erwachte, als ihn der Kellner sanft antippte. Die Kaffeetasse stand unberührt vor ihm, die alten Genossen waren verschwunden. Der Schwarze lächelte, legte einen Zettel auf den Tisch. «Vom roten Tanguero.» Hermanns Adresse, Zwinglistrasse, seine Handynummer. Er faltete den Zettel, steckte ihn ein.
    Ihm gegenüber sass der Alte mit der verfilzten Mähne. Der Hund lag auf dem Boden, beobachtete Robert mit wachen Augen.
    «Gut geschlafen?» Der Alte hob ein leeres Glas. «Noch einen Schluck?»
    Er streckte seine Rechte über den Tisch. «Iwan. Kennst du mich nicht mehr?»
    Durch Roberts Schädel zuckte der Schmerz in Wellen. Iwan, der Name kam ihm bekannt vor, doch bekam er ihn nicht gleich auf die Reihe. Ein Genosse, Iwan der Schreckliche. Er winkte dem Kellner, bestellte einen Kamillentee.
    «Und einen Zweier Primitivo. Der Herr Professor lädt ein, nicht wahr? Auch wenn er den Genossen Iwan nicht mehr kennen will.»
    Robert nickte müde. Schlafen, nur schlafen, dachte er. Und alles vergessen.

    Pippo fror. Er sass am Tisch im Gartenhaus, hatte die Faserpelzjacke angezogen, doch sie wärmte nicht. Der Petrolofen russte, verbreitete beissenden Rauch und Gestank im Raum. Der Docht war feucht geworden, seit es durchs Leck im Dach tropfte.

Weitere Kostenlose Bücher