Zopfi, Emil
Tür. Draussen stand Mehmed, der Gartenaufseher, ein eingebürgerter Kurde. Möglicherweise Mitglied der PKK , der kommunistischen Partei Kurdistans, ein paar Jahre Haft in der Türkei, behauptete er, samt Folter. Dagegen war Pippos Zeit in der Strafanstalt Regensdorf ein Erholungsurlaub gewesen.
«Was ist?»
«Darf ich reinkommen?»
«Klaro.» Mehmed setzte sich.
«Bier?»
«Danke, ich trinke nicht. Weisst du doch.»
«Ach so, ja.» Als strenger Muslim trank Mehmed keinen Alkohol. Ausser wenn er ganz grossen Kummer hatte, was öfter vorkam.
«Möchtest du einen Holundersirup? Selbst gemacht.»
Mehmed nickte, begann von seinem Garten zu erzählen, wie gross die Kartoffeln geworden seien, die Kohlraben, der Lauch und der Rosenkohl. Dann berichtete er von seinen kleinen Sorgen als Aufseher. Ein Pächter hatte ein paar Quadratmeter zuviel Rasen angelegt, ein anderer ohne Meldung einen festen Grill gebaut. Gartenklatsch. Man hatte ihn zum Aufseher gewählt, weil niemand den Job machen wollte. Manche dachten wohl, der Türke lässt mit sich reden. Ein bisschen winken mit einer Zwanzigernote, und der zu grosse Anbau geht durch. Doch Mehmed nahm es genau, liess sich auf keinen Handel ein, war unbestechlich. Mit den Jahren hatte er sich Autorität verschafft. Selten einmal gab es fremdenfeindliche Ausfälle gegen ihn.
Pippo nuckelte an seiner Bierdose. «Und? Du wolltest doch etwas?»
Mehmed starrte auf den Tisch, sein Blick wanderte zum Lappen, unter dem sich der Griff der Pistole abzeichnete. Er wolle sich bei den Verkehrsbetrieben bewerben, im Geleiseunterhalt. Brauche Referenzen.
«Meine ist nichts wert. Du weisst doch, Bruder. Ich war im Knast, ich war in der Gewerkschaft, ich bin mehrmals verwarnt worden. Schliesslich hat man mich nur nicht rausgeschmissen, weil meine Frau krank war und Mitglied einer christlichen Partei.»
«Ist nur Formalität, sagen sie auf dem Büro.» Mehmed sah Pippo an mit seinen traurigen Augen. «Bitte, Pippo.»
«Na dann? Was muss ich tun?»
«Nichts. Ich schreibe deinen Namen und Telefonnummer aufs Formular. Vielleicht rufen sie dich an.»
«Dann sage ich, der Mehmed ist Mitglied der PKK . Ein Freund von Abdullah Öcalan.» Pippo lachte, wurde aber gleich wieder ernst, als er sah, dass Mehmed seinen Kopf einzog, als werde er gleich geschlagen. «Ist doch nur ein Scherz, Mehmed. Ich kenne einen alten Genossen auf der Verwaltung, ich rufe ihn an und empfehle dich.»
«Danke, Pippo, danke. Du bist ein guter Mensch.»
Mehmed trank den Sirup aus, bedankte sich nochmals und stand auf.
«Bleib doch noch.»
«Ich muss gehen. Familie wartet.» Er gab Pippo die Hand.
«Na, dann.»
Pippo setzte die Pistole zusammen, sicherte sie und schlug sie in den Lappen ein. Legte sie in die Bananenschachtel zurück unter die Mäppchen. Zuoberst jenes mit der Aufschrift «Alte Genossen».
Das Siebzehnertram liess auf sich warten. Hermann stand am Limmatplatz, er fror im nasskalten Wind, der vom alten Industriequartier her durch die Strasse wehte. Ein Dreizehner hielt an, junge Leute im Partyoutfit drängten heraus, zwei schwarze Mamas mit Kinderwagen, graublonde Damen mit kleinen Hunden, ältere Herren mit Bierbäuchen, die der Langstrasse zustrebten. Wir sind das Volk, dachte Hermann. Eigentlich gefiel ihm das Leben im Quartier, die Mischung aus Hip und Shit. Nur das Wetter machte ihm zu schaffen. Ein leichtes Brennen im Rachen würde in einen heftigen Schnupfen ausarten. Wir sind das Volk. Der Weckruf der Ostdeutschen vor dem Fall der Berliner Mauer, die er seinerzeit als durchaus sinnvolles Bauwerk empfunden hatte. Schliesslich bedrohte der kapitalistische Westen das Paradies des real existierenden Sozialismus. Nun, das war Geschichte. Alles vorbei, Tom Dooley. Er summte den alten Folksong vor sich hin. Morgen schon wirst du hängen, morgen schon bist du tot … Unschuldig hingerichtet, der arme Tom, im Jahr 1868. Symbolische hundert Jahre vor 1968. Auch Tom war also eine Art Alt-Achtundsechziger.
Endlich der Siebzehner. Hermann stieg ein, stellte sich hinten ans Fenster neben eine Frau, die mit einer Hand einen dreirädrigen Kinderwagen festhielt, mit der andern ein kleines Mädchen. Das Mädchen sah ihn an, die blauen Augen strahlten, dann tupfte es mit dem Finger an Hermanns Bein: «Papi.»
«Das ist nicht Papi. Entschuldigen Sie.» Die Frau schenkte ihm ein gequältes Lächeln, Falten um den schmalen Mund.
«Papi.» Das Mädchen klammerte sich an Hermanns Jeans.
Die Frau riss das
Weitere Kostenlose Bücher