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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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vorbeigehen konnte. Der Hund schnupperte an seiner Hand. Robert zog sie zurück.
    «Er ist ganz lieb.» Sie warf ihm einen Blick zu, sah dann gleich weg.
    Robert schwieg. Wie sah er aus? Nach ein paar Schritten schaute er sich um. Auch sie hatte sich umgedreht, ihre Blicke trafen sich. Rasch machte sie kehrt, stieg mit schnellen Schritten weiter bergauf. Sie trug einen weissen Trainingsanzug, ein weisses Stirnband. Der Engel, dachte er. Weisser Engel mit Höllenhund. Auch die Stumme war ein Engel gewesen. Sara aus dem Jenseits. Die bigotte Marilyn glaubte an Engel, glaubte ans Paradies. Es würde dort nur immer Kuchen geben, dick aufgetürmt die Sahne, Torten, Puddings, Schokolade. Fressorgien, Sauf-und Sexorgien. Das irdische Dasein nur ein Übergang, eine Prüfung, die entschied, wer zu den Guten gehörte, die das Himmelreich verdienten. Als Robert nochmals zurückschaute, sah er, dass die weisse Frau stehengeblieben war und telefonierte. Der Höllenhund bellte kurz auf.
    Er warf den Ast weg, humpelte, so schnell er konnte, bergab. Bei der Tramhaltestelle im Albisgüetli lag eine Bürste auf dem Rand eines Brunnens. Bereit für die Wanderer vom Berg, damit sie sich die Schuhe putzten, bevor sie ins öffentliche Verkehrsmittel stiegen. Aktion saubere Schweiz. Er tauchte die Bürste ins Wasser, fegte den Schmutz von den Schuhen, die vor Nässe aufgeweicht waren. Er säuberte die Hosenbeine und die Jacke vom gröbsten Dreck. Den Mantel hatte er in der Hütte gelassen. Dann trank er Wasser aus der Schale seiner Hände, die blau waren vor Kälte.
    Er hörte eine Klingel, ein Tram fuhr in die Schleife der Endstation, die Räder kreischten in den Schienen. Es war die Nummer dreizehn. Leer, als sei sie extra für ihn bestellt. Über der Stadt lagen Nebelschleier, Rauch stieg aus Kaminen. Der Himmel war wässrig blau. Hinter den Hügeln im Osten des Sees kündete ein Lichtschimmer den Sonnenaufgang an.

    Pippo zuckte zusammen, als sein Kopf nach vorn kippte. Seit Stunden kämpfte er gegen den Schlaf. Draussen herrschte unheimliche Ruhe. Die Geräusche der erwachenden Stadt drangen aus weiter Ferne zu ihm, die Tramglocke, Ambulanzen, das Kirchengeläut, der Arbeitsverkehr, Flugzeuge. Noch nie in seinem Leben war er geflogen, fiel ihm ein. Der Gelenkschmerz hatte nachgelassen, das Kortison wirkte.
    Die Ritzen im Holztäfer des Gartenhauses zeichneten feine Muster in die Dämmerung. Pippo rieb seine Oberarme, der kalte Schweiss auf seiner Haut liess ihn erschauern. Vor ihm auf dem Tisch lag die Pistole, daneben stand eine Büchse Bier. Er griff nach ihr, nahm einen Schluck, doch das schale Getränk widerte ihn an. Er entlud die Pistole und sicherte sie. Er erinnerte sich nicht mehr, wann er wohin geschossen hatte und warum. Da war ein Hund gewesen, die Polizei draussen, panische Angst hatte ihm die Besinnung geraubt. Mit Megafonen hatten sie ihn aufgefordert, sich zu ergeben. Es hat doch keinen Zweck, Schwyter. Sie machen alles nur schlimmer. Geben Sie endlich auf, kommen Sie heraus, Hände auf dem Kopf. Er hatte sich verrannt, verbissen.
    Nun sass er am Tisch und wartete. Irgendwann würde irgend etwas geschehen. Er dachte an Alice, die Sommerabende im Schatten des Uetlibergs, Bratwürste und Koteletts auf dem Grill, Bier aus der Flasche mit Bügelverschluss. Ab und zu ein Wort, ein Satz. Die treibenden Gedanken, die leise Melancholie, die unbestimmte Sehnsucht. Augenblicke der Nähe, in denen sie sich an den Händen hielten, leise Erinnerungen austauschten. René spielte im Sandhaufen, den er für ihn gebaut hatte. Es gab ihn noch immer, Unkraut wuchs durch das Netz, mit dem er ihn bedeckt hatte wegen der Katzen. Rosalba fiel ihm ein. Wo sie wohl steckte?
    Wieder schreckte er hoch. Sein Kopf war auf die Tischplatte gefallen, er fuhr sich über die Stirn. Auf seinem Handrücken war Blut. Dann glaubte er, Schritte zu vernehmen. Jemand näherte sich durch den Garten.
    «Papa.» Es war Renés Stimme. Sie klang wie jene von Alice, als sie noch jung war, jung und so schön. Dieses leise Vibrieren, das rollende R.
    «Papa. Ich bins. Dein Sohn.»
    Mein Sohn. Warum sagte er nicht seinen Namen. «Dein Sohn» klang so pathetisch, so formell.
    «Papa, hörst du mich?»
    Pippo wischte sich über die Stirn, er blutete. Das Aspirin, das er seit Jahren schluckte, verflüssigte sein Blut. Das Kortison blähte ihn auf, machte seine Muskeln und seine Augen kaputt. Er war eine Ruine.
    «René», sagte er.
    «Papa, ich bin da.»
    Pippo stütze

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