Zores
Staatspreis erhalten. Also nicht bloß für diese paarWorte, sondern für ein gesamtes Poem, das Dollfuß und seine Herrschaft verherrlicht hatte. Als Bronstein seinerzeit dieses „Gedicht“ in der „Wiener Zeitung“ unter die Augen gekommen war, hatte er nicht gewusst, ob er nun lachen oder weinen sollte, denn derart schwülstige Emanationen erwartete man üblicherweise allenfalls von einem Pubertierenden, doch keinesfalls von einem gestandenen Mannsbild. Keine Frage, dass Vejvoda dann auch noch Wälder auf Felder, Sonne auf Wonne und Siegeskranz auf Patronanz gereimt hatte. Doch dies war nun juristisch kein Verbrechen, zumindest keines, für das er zuständig wäre.
„Ja, so feingeistig sieht er aus. Dabei ist er eine Natter, die ich an meinem Busen genährt habe.“ Die Vejvoda war aus der Küche zurückgekehrt und legte alle Verachtung, zu der sie fähig war, in ihre Worte.
„Das ist wirklich sehr bedauerlich, verehrte gnädige Frau“, bemühte sich Bronstein um Mitgefühl.
„Aber setzen Sie sich doch, Herr …“
Langsam wurde das Spiel langweilig. „Bronstein“, knurrte er.
„Genau“, sagte sie ungerührt, „nehmen S’ Platz.“
Und dann, nachdem sie sich selbst auf den zweiten Stuhl verfügt hatte: „Ich kann Ihnen leider gar nicht helfen. Ich gehe immer sehr früh zu Bett, müssen S’ wissen. Ich bin ja immer so müde. Und in meinem Alter …, was soll man da schon mit seinen Abenden anfangen, nicht wahr. Bitte schön, hie und da lege ich mir eine Patience, vielleicht füll ich mitunter auch einmal ein Kreuzworträtsel aus, damit ich nicht ganz verblöd, oder ich hör mir im Radio eine Symphonie an. Aber das war’s dann auch schon wieder, gelt. Als alte Vettel, da hat man nicht mehr viel vom Leben. Vor allem, wenn man mit so einem … Rabenbraten … gestraft ist! Wissen S’, der Franz, der war immerschon ein Tunichtgut. Hat so auf Boheme g’macht, dabei war er immer nur unendlich faul, der Haderlump, der.“
„Wissen Sie, Frau Vejvoda …“ Bronstein kam nicht dazu, die Mutter von ihrem Thema abzubringen, denn diese hatte sich schon in Rage geredet.
„Mich hat er immer nur dann gekannt, wenn er wieder Geld gebraucht hat, der Falott! Hat nichts Anständiges gelernt und immer von der Hand in den Mund gelebt. Dann war er auf einmal so ein Zeitungsschmierer, der feine Herr. Bei so einem Boulevardblatt, das mein Seliger nicht einmal mit der Kneifzange …, direkt genieren hat man sich müssen. Sehen S’, da, das Foto. Da sieht man ihn in der Redaktion von diesem Schund…, aber es nützt ja nix. Was rege ich mich auf! Es hat ja alles keinen Sinn.“
„Äh, Frau Vejv…“
„Und dann kommt er auf einmal daher und sagt, er wird Dichter. Sie können sich vorstellen, wie wir da dreing’schaut haben. Ich meine, der kann ja nicht einmal richtig rechtschreiben, nicht wahr!“
„Nun …“
„Na, und da hat er dann natürlich auf einmal wieder g’wusst, wo wir zu Hause sind, nicht wahr! Natürlich, Geld hat er gebraucht. Damit er seinen Ramsch drucken lassen kann. Weil ein Verlag hat diesen Unsinn ja nicht gedruckt.“
Urplötzlich schnellte die Alte hoch und eilte mit einer Geschwindigkeit, die Bronstein ihr nie zugetraut hätte, in ein angrenzendes Zimmer. Eine Minute später kam sie mit einem schäbigen Gedichtband zurück.
„Da. Das hat er damals g’schrieben. ,Lilien am Feldesrand‘ hat er’s genannt. Im 27er Jahr ist es erschienen. Auf eigene Kosten ediert. Angeblich hat er 66 Stück davon verkauft. Aber da hat er wahrscheinlich um zwei, drei Dutzend übertrieben.“
„Das ist ja sehr interessant, Frau …“
„Gelt? Eben! Hören Sie sich das an: ,Es war zur Mittagsstunde, da kam die Kunde, dass sie fortgegangen war. Er saß allein in seiner Kammer, spürte Schmerz und Leid und Jammer und raufte sich voll Not sein schwarzes Haar.‘ Ich mein’, auf so einen Schwachsinn muss man erst einmal kommen, nicht wahr! Ich hab g’wusst, dass dieses neue System nichts taugt, als es diesen Hanswurst ausgezeichnet hat.“
„Apropos System …“
„Aber gut, die gehen jetzt ohnehin alle baden. Und der Franzl, der … na, der wird sich wieder irgendwie durchlavieren. Durchtrieben, wie der ist. Wenn er sonst nichts kann, das kann er, die Rotzpipp’n, die freche. Ich kann es schon förmlich sehen: Uns sei hienieden, oh Führer, nur Dein Glanz beschieden. Damit kommt er bei den Nazis auch durch, das sag ich Ihnen.“
„Weil wir grad vom Führer …“
„Sie wissen, was
Weitere Kostenlose Bücher