Zores
Bronstein den Kopf: „Nein, nein, so blöd ist nicht einmal ein Nazi. Der weiß, dass wir recht schnell auf die Sache mit dem Vertrag draufkommen“, dabei machte er eine anerkennende Geste in Richtung Cerny, „und dann ist er automatisch der Verdächtige Nummer eins. Aus Berechnung kann er also nicht vorgegangen sein. Bleibt die Panik. Nur, warum sollte er die haben?“
Cerny bereicherte den Fundus an mimischen Reaktionen nun durch eine ratlose Miene. „Tja“, sagte er nur, „das bleibt herauszufinden.“
„Wie wahr.“ Bronstein sah auf die Uhr. „Na ja“, meinte er dann, „Mittagessen fallt heute anscheinend aus. Wir müssen noch einmal in die Skodagasse. Einerseits wegen der Jedlicka, andererseits wegen dem Frank.“
„Ja, das sehe ich auch so“, signalisierte Cerny Zustimmung.
Zwanzig Minuten später befanden sie sich wieder vor dem Haus. Bronstein zögerte. „Du, ich glaub, es ist besser, du gehst zu dem Frank. Ich nehm mir die Jedlicka vor. Weißt eh, mit Hausmeisterinnen kann ich irgendwie besser.“ Dabei bemühte er sich um ein Schmunzeln. „Und wenn wir fertig sind,treffen wir uns da drüben beim Wirten.“ Dabei deutete er auf das Gasthaus, das sich an der Ecke befand. „Auch an solchen Tagen muss man irgendwann etwas essen.“
„Passt. Bis dann also.“ Cerny nickte Bronstein noch einmal zu und schickte sich an, den dritten Stock zu erklimmen. Bronstein aber klopfte an die Pforte der Hausbesorgerin. Diese öffnete umgehend.
„Der g’selchte Kieberer“, sagte sie mit einer gehörigen Portion Verachtung in der Stimme. „Was wollen nachher Sie schon wieder?“
„Na ja, Gnädigste“, ignorierte Bronstein die bösartige Anrede, „Sie haben in der Früh etwas erzählt über diverse Buben, die der Suchy … nun … nationalpolitisch erzogen hat. Darüber müssten wir, glaube ich, mehr wissen.“
„Was meinen S’? Glauben S’, i war da dabei oder was?“ Die Jedlicka stemmte die Hände in die Hüften und nahm eine ablehnende Haltung ein.
„Nein, nein“, beeilte sich Bronstein mit einer Antwort, die er mit einer begütigenden Geste seiner Hände unterstrich, „ich dachte da an die Knaben. Und daran, ob Sie vielleicht wissen, wie die heißen und wo die wohnen.“
„Sagen S’ einmal, um was soll ich mich denn noch alles kümmern, ha?! Ich muss da jeden zweiten Tag die Glander wischen. Zweimal in der Wochen heißt’s Stiegen waschen, einmal im Monat Fenster putzen. Den Zins muss i kassieren, das Licht auswechseln, wenn irgendwo a Birn’ gangen ist, und wenn irgendeine von die Herrschaften meint, die Nacht zum Tag machen zu dürfen, dann muss i aus mein’ Bett außekraxeln und denen die Tür aufsperren. Und da glauben Sie ernsthaft, i kann mi a no darum scheren, wie die Bankerten heißen, die da auf Wotan und Odin machen?“
Bronstein hielt dem flammenden Blick der Jedlicka stand. „Ja“, sagte er nur.
Gegen ihren Willen musste die Hausmeisterin grinsen. „Ja, haben S’ eh recht“, gluckste sie. „Natürlich waaß i des. Es gibt nix, was a Hausmeisterin ned waaß.“
„Ja, das wiederum weiß ich. Jahrelange Berufserfahrung.“
„Alsdern. Am besten, Sie fangen mit die Oberhollenzer an. Die wohnen in dem Abbruchhaus in der Lederergassen. Dann ist da noch der Kranewetter in der Kochgassen, und drüben in der Spitalgassen die Wagnerischen. Und als besonderes Zuckerl schauen S’ Ihnen die Witzmann am Bennoplatz an. Des is a ganz besondere Mischpoche.“
„Warum, Frau Jedlicka, hab ich das Gefühl, Sie können mir noch einiges über diese Familien erzählen, bevor ich dorthin gehe?“ Dabei lächelte Bronstein verschwörerisch.
„Weil aa a Kieberer amoi den richtigen Riecher haben kann.“ Die Jedlicka winkte ihn zu sich. „Also kommen S’ erst einmal rein da. Bei einem Kaffee redet si’s leichter.“
Bronstein befand sich wieder einmal in einer der charakteristischen Vorzimmerküchen der Wiener Vorstadt. Auch diese war kaum größer als zehn Quadratmeter. Linker Hand befand sich der Gasherd, daneben die Spüle, und rechter Hand war ein wackeliger Tisch untergebracht, der mit einer weißen Sitzbank und einem ebenfalls weißen Sessel versehen war. Auf Letzterem nahm Bronstein Platz, dieweilen die Jedlicka eine Espressomaschine vom Herd nahm, aus der sie Bronstein einschenkte. „Ich hab mir nämlich grad einen g’macht“, erklärte sie.
„Die Oberhollenzer“, fuhr sie fort, nachdem sie selbst ihren Kaffee wieder in die Hand genommen hatte, „san ganz arme
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