Zores
überzeugt.“
„Aber die Volksabstimmung, Herr Professor! Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass die für die Deutschen ausgeht?“
„So weit wird es gar nicht kommen, sage ich Ihnen. Der Hitler wird den Schuschnigg einfach dazu zwingen, sie abzusagen. Und selbst wenn, glauben Sie, die Nazis erkennen eine solche Niederlage an? Nein, die marschieren dann einfach ein. Erinnern Sie sich an das Saarland.“
„Diese Argumentation kenne ich schon. Aber das Saarland war immer deutsch. Österreich hingegen …“
„Das ist ja der Punkt. Für die Nazis ist Österreich auch deutsch. Nicht umsonst heißt die Parole ,Heim ins Reich‘. Und eine andere lautet bekanntlich ,Gemeinsames Blut gehört in ein gemeinsames Reich‘. Nein, nein, Österreich ist verloren. Und ich bin mir nicht einmal sicher, ob wir Tschechen mit heilerHaut aus dieser Sache herauskommen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Hitler auch noch jene Gebiete der Tschechoslowakei annektieren will, die man allgemein das Sudetenland nennt. Aber wir werden wenigstens noch ein wenig Zeit haben, weil er zuerst einmal Österreich verdauen muss.“
Bronstein hatte Kviteks Vortrag mit angehaltenem Atem gelauscht. Und dabei war diese merkwürdige Angst in ihm wieder hochgekrochen, die ihn seit Tagen immer wieder heimsuchte. Sollte es wirklich ein Ende mit Schrecken geben? Daran wollte er gar nicht denken.
„Aber sehen Sie das nicht ein wenig zu pessimistisch, Herr Professor?“
„Ach, sehen Sie sich doch um, Herr Oberst. Hier geht doch alles den sprichwörtlichen Bach hinunter. Alles versinkt im Chaos. Die Regierung hat doch überhaupt nichts mehr unter Kontrolle. Das halbe Kabinett hört nur noch auf die Anweisungen aus Berlin, und die Beamtenschaft unternimmt alles in ihrer Macht Stehende, um sich auf die Seite der zu erwartenden Sieger zu schlagen. Für Österreich sind doch nur noch die Juden, ein paar unverbesserliche Monarchisten und vielleicht das Häuflein Kommunisten, das es in diesem Lande gibt.“
„Apropos“, Bronstein wollte nicht schon wieder Weltuntergangsphantasien hören, „wie geht es denn dem Fräulein Tochter?“
Kvitek sah Bronstein einen Augenblick skeptisch an, dann seufzte er laut. „Mit der Katastrophe, in die dieses Land schlittert, korrespondiert die persönliche Tragödie, von der ich getroffen wurde.“
Bronstein wurde blass. „Um Himmels willen, Herr Professor! Dem Fräulein Tochter wird doch hoffentlich nichts passiert sein?“
Kvitek machte eine wegwerfende Bewegung mit der rechten Hand. „So schlimm ist es nun wieder auch nicht. Aber sie ist die Enttäuschung meines Lebens.“
„Wieso das denn? Ist sie zu den Nazis übergelaufen?“ Bronstein wusste sofort, dass sein versuchter Scherz mehr als unpassend gewesen war. Kvitek hielt inne, stieß schwer Luft aus und nahm dann seine Augengläser ab. Er rieb sich die Nasenwurzel, seufzte ein weiteres Mal und schien mit sich zu ringen, inwieweit er Bronstein ins Vertrauen ziehen sollte.
„Erinnern Sie sich noch an den Sommerabend vor etwa zehn Jahren?“, fragte er dann.
„Aber selbstverständlich! Wie könnte ich den vergessen?“
„Sehen Sie, damals hatte man doch allen Grund anzunehmen, dass mein Fräulein Tochter, wie Sie sich auszudrücken belieben, eine großartige Karriere vor sich hat. Sie wirkte wie eine überaus kompetente Studentin, die es bis zur Hochschullehrerin bringen konnte. Und ich Narr habe nicht bemerkt, dass das alles nur Fassade war!“
Beinahe schien es, als träten Kvitek die Tränen in die Augen.
„Nur Fassade? Verzeihen Sie, Herr Professor, aber ich fürchte, ich kann Ihnen nicht ganz folgen.“
„Betrogen hat sie mich. Ausgenützt und angelogen!“, platzte es aus Kvitek plötzlich hervor. „Ich alter Trottel habe geglaubt, ihre Studien zu finanzieren, dabei hat sie hier in Wien die Nacht zum Tage werden lassen. Ist von einem Tanzvergnügen zum nächsten geeilt, trieb sich in zwielichtigen Spelunken herum, und wenn man …“ Kvitek versagte die Stimme, und Bronstein war sich nun sicher, dass er weinte, wenngleich der Professor demonstrativ das Gesicht von Bronstein abwandte. „Wenn man …“, half dieser aus, doch ehe der Professor weitersprach, zog er ein Sacktuch aus seinem Jackett und putzte sichumständlich die Nase. „Wenn man“, begann er mit brüchiger Stimme, „den Aussagen ihrer Mitbewohner glauben darf, dann war sie eine Art Wanderpokal.“
„Wanderpokal?“ Bronstein verstand nur Bahnhof.
„Jeder schien sie haben zu
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