Zores
mit seinen Ersparnissen irgendwo ein kleines Häuschen in der Umgebung Wiens erwerben und dort ein unauffälliges Rentnerdasein fristen. Das war sicher für alle Beteiligten das Beste. Jetzt umso mehr, da er sich mit dem Minister angelegt hatte. Aber gut, beruhigte sich Bronstein, das mochte egal sein, denn Seyß-Inquart war am Montag ohnehin Vergangenheit, denn wenn Schuschnigg die Abstimmung gewann, dann würden die Nazis sicher aus der Regierung ausscheiden, denn ein solches Ergebnis würde ihre Position unhaltbar werden lassen.
Bronstein registrierte beiläufig, dass die Straßenbahn den Ring erreicht hatte. Langsam und vorsichtig erhob er sich. Er nickte dem Schaffner müde zu und verließ vorsichtig den Zug. Er überquerte die Straße und stellte sich zur Haltestelle für die Ringlinie.
Und was, wenn die Nazis doch gewannen? Daran wollte er gar nicht erst denken! Dann war er geliefert. Und zwar vollends! Dann gab es keine Pensionierung, sondern eineunehrenhafte Entlassung. Kein Häuschen im Grünen, sondern bestenfalls eine Hinterhofwohnung in Simmering. Er würde froh sein müssen, wenn er irgendwo eine Anstellung als Nachtwächter bekam, um sich wenigstens das Notwendigste leisten zu können.
Wenn man ihn nicht überhaupt verjagte! Er erinnerte sich an die Geschichten, die über das Reich im Umlauf waren. Dort machten die Nazis Jagd auf alles, was sie für jüdisch hielten, egal, ob es sich nun um echte Glaubensjuden handelte oder um Menschen wie ihn, die irgendwann einmal vor vielen Generationen jüdische Vorfahren gehabt hatten.
In Bronstein stieg erneut Panik auf. Es ging um seine Existenz, nicht nur um die Österreichs. Mit dem Fall Schuschniggs würde auch er fallen. Er wäre vogelfrei. Jeder könnte ihn niederschlagen, nicht nur ein verrotzter Nazi-Rohling.
Ohne dass Bronstein dagegen ankam, begann sein ganzer Körper zu zittern. Er konnte nicht länger an der Station stehen. Mit unsicheren Schritten taumelte er die Umzäunung des Volksgartens entlang, wobei er immer wieder stehen bleiben musste. Er hielt sich dann an einer der Lanzen des Zaunes an und rang nach Atem. Verzweifelt bemühte er sich, wieder ruhiger zu werden, doch die Panik wich nicht von ihm. Er keuchte, als wäre er eben ein Rennen gelaufen, und hatte gleichzeitig das Gefühl zu ersticken. Da war es wieder, dieses merkwürdige Drücken in seiner Brust. Nur nicht nachgeben, befahl sein Hirn, nur nicht nachgeben.
Bronsteins Mund entrang sich ein kehliges Gurgeln, dann gelang es ihm, seinen Körper in eine Art Trab zu versetzen. Zu seiner eigenen Überraschung schaffte er es in einem Schwung bis zum Burgtheater und sogar bis zum gegenüberliegenden Kaffeehaus.
Gleich daneben befand sich eine kleine Stehweinhalle, die Bronstein gerade noch erreichte. Er krallte sich an der Budel fest und lallte „Einen Doppelten! Schnell!“ Der Wirt musterte ihn argwöhnisch, doch die Aussicht auf ein Geschäft ließ ihn seine Skrupel vergessen. Gleich danach stand ein doppelter Obstler vor Bronstein. Dieser griff ihn mit unsicheren Fingern, wobei er gleichzeitig seinen Kopf in Richtung Glas bewegte. Seine Lippen umfassten es, und endlich konnte er sich den Inhalt einverleiben. Bronstein spürte, wie er etwas ruhiger wurde. „Noch einen.“
Bronstein legte den Preis für zwei doppelte Schnaps auf die Budel und verließ dann wortlos das Lokal. Die zwei, dreihundert Meter bis zum Präsidium konnte er ohne weitere Panikattacke zurücklegen. Doch er kam nicht umhin, zuzugeben, dass ihn seine eigene Reaktion einigermaßen entsetzte.
Immer noch leicht geschockt erreichte Bronstein endlich sein Büro. Dort wurde er von Cerny bereits ungeduldig erwartet. „Da bist ja endlich, Oberst. Ich hab mir schon Sorgen g’macht.“ Cerny hielt inne: „Offenbar zu recht. Du schaust aus, als hätt’st den Leibhaftigen g’sehen.“
„So was in der Art“, sagte Bronstein tonlos, „aber wurscht jetzt. Was gibt’s Neues?“
Cerny rang noch einen Moment mit sich, ob er nachhaken sollte, doch sein Bedürfnis, dem Vorgesetzten von seinen neuen Erkenntnissen zu berichten, behielt die Oberhand. „Kannst dich erinnern“, begann er daher, „dass dir die Hausmeisterin erzählt hat, wie der Suchy zu seinem Geld gekommen ist?“
„Ja, durch irgendeinen Fleischhandel. Warum?“
Cerny grinste breit: „Ich hab mir das einmal näher ang’schaut. Der hat eine Firma in St. Marx, direkt am Schlachthof. Und du errätst nie, wer dort sein Geschäftsführer ist.“ Das
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