Zores
bleibt über Nacht unser Gast.“
Die Justizwachebeamten bewegten tonlos ihre Köpfe auf und ab und verließen mit Witzmann in ihrer Mitte das Zimmer. Bronstein blieb noch einen Augenblick sitzen und zündete sich eine „Donau“ an.
Wenn Witzmann kurz nach sieben bei seinem Stammwirten erschienen war, dann klang es wirklich höchst unwahrscheinlich, dass er zuvor Suchy ermordet haben sollte, denn die Jedlicka hatte nach zehn Uhr abends die beiden HJ-ler aus dem Haus gelassen. Möglicherweise genau jene, von denen Witzmann eben gesprochen hatte. Die würden kaum, wenn Suchy schon tot gewesen wäre, bis zum Beginn der Sperrstunde gewartet haben, um sich dann bei der Hausbesorgerin zu melden. Vielmehr wären sie spornstreichs wieder ausgebüchst, um nicht in die Sache verwickelt zu werden, denn bis zehn Uhr konnten sie das Haus ja jederzeit unerkannt verlassen. Oder aber sie hätten Alarm geschlagen, wenn sie Suchy tot aufgefunden hätten. Dass sie also weder das eine noch das andere getan hatten, machte sie in der Tat mehr als verdächtig. Kurz, es war interessant, was Cerny herausgefunden hatte.
Bronstein dämpfte die Zigarette aus und verließ nun ebenfalls den Raum. Er legte die kurze Wegstrecke zum Präsidiumzu Fuß zurück und traf in seinem Büro auf Cerny, der dort eifrig über Aktenstücken brütete.
„Alsdern, was gibt’s?“, sagte Bronstein und ließ sich auf seinen Sessel fallen.
„Tja, was soll ich dir sagen? Die HJ ist jedenfalls kein Pfadfindertrupp.“
„A geh. Sag mir was, was ich noch nicht weiß. Du hast da am Telefon so Andeutungen gemacht!“
Cerny lehnte sich zurück und verschränkte die Hände ineinander. „Also“, begann er, „in den Akten der Kollegen vom staatspolizeilichen Büro taucht immer wieder ein Name auf. Friedrich Schönberger. Geboren 1914 in Trautenau, Böhmen. Allerdings als Bohumil Krasnohorsky. Bohumil heißt übrigens Gottlieb. Jedenfalls ist die Familie 1919 nach Wien übersiedelt. Dort hat Krasnohorsky als Theophil Krasnohorsky die Schulbank in Favoriten gedrückt.“
„Theophil heißt auch Gottlieb. So weit reicht mein Schulgriechisch noch“, merkte Bronstein an.
„Genau. Also, der Krasnohorsky drückt die Schulbank in Favoriten und wechselt 1924 auf die Bürgerschule. 1929 beginnt er eine Kaufmannslehre, die er aber wenig später abbricht. Und 1931 wird er erstmals von der Polizei aufgegriffen. Schlägerei mit einigen Leuten von der SAJ. 1932 ist er im Saalschutz für den Gautag der NSDAP im Einsatz und engagiert sich auch im Wiener Wahlkampf. Ende 33 und Anfang 34 ist er zweimal wegen illegaler Betätigung für die Nazis im Kotter, 1934 verdächtigt man ihn zudem, am Putsch mitgewirkt zu haben. Er verbringt mehrere Monate in Wöllersdorf und kommt erst Anfang 1935 wieder raus. Ungefähr zu der Zeit dürfte er dann auch in den inneren Führungszirkel der hierortigen HJ aufgerückt sein.“
„Eine typische Karriere als Nazi-Schläger also“, resümierte Bronstein, „ich wüsste nicht, was daran jetzt so ungewöhnlich sein sollte.“
Cerny setzte ein triumphierendes Lächeln auf: „Nicht? Na dann hör dir das einmal an. Der Schönberger ist im Dezember 1936 verhört worden, weil der dringende Verdacht bestand, er hätte einen Kaplan verdroschen, von dem einige Leute behauptet hatten, er sei eine Spur zu kinderlieb.“
„Ah da schau her“, merkte Bronstein auf. „Das klingt ja tatsächlich interessant. Erzähl!“
Cerny nahm einige Papiere zur Hand. „Ich hab mir das damalige Vernehmungsprotokoll ausheben lassen. Da steht Spannendes drinnen. Ich zitiere die wesentlichen Passagen:
Abteilungsinspektor Novotny: Sie sollen zum Herrn Hochwürden g’sagt haben, Sie schneiden ihm die Eier ab, wenn er sich noch einmal an den Kindern vergreift. Ist das richtig?
Schönberger: Kann schon sein. Na und?
Novotny: Na ja, der Herr Kaplan liegt im Wilhelminenspital. Mit Verdacht auf Milzriss und mit einer Menge blauer Flecken.
Schönberger: Und was geht mich das an?
Novotny: Jetzt tun S’ nicht so scheinheilig. Sie sind schon im 31er Jahr aufgegriffen worden, weil Sie handgreiflich geworden sind. Und damals haben Sie Ihr Tun auch damit gerechtfertigt, Ihre Widersacher hätten sich an kleinen Kindern vergriffen. Erkennen Sie da nicht auch ein Muster?“
Cerny blickte aus dem Dokument auf: „Unser Herr Krasnoberger hat etwas gegen vermeintliche Kinderschänder. Egal, ob sozialistisch, christlich oder …“
„Nationalsozialistisch“, vollendete
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