Zores
angewiesen.
„Der Herr Bundespräsident beauftragt mich, dem österreichischen Volk mitzuteilen, dass wir der Gewalt weichen.“ Na bitte, da war sie, die Kapitulation. Österreich war tatsächlich verloren. Und er mit ihm!
„Wir haben, weil wir um keinen Preis, auch in dieser ernsten Stunde nicht, deutsches Blut zu vergießen gesonnen sind, unserer Wehrmacht den Auftrag gegeben, für den Fall, dass der Einmarsch durchgeführt wird, ohne wesentlichen …“
Plötzlich stockte der Sprecher. Sollte das eine geheime Botschaft sein, die in der Stunde der Not dazu aufrief, die Unabhängigkeit des Landes doch zu verteidigen? Bronstein schöpfte wieder Hoffnung. Vielleicht ging es darum, an einigen zentralen Stellen Position zu beziehen, sich so lange zu wehren, bis London und Paris nicht mehr wegsehen konnten, vielleicht …
„… ohne Widerstand, sich zurückzuziehen und die Entscheidungen der nächsten Stunde abzuwarten.“
Das war es also. Er hatte sich einfach versprochen. Nicht einmal zu einem symbolischen Akt hatte dieses kümmerliche Regime den Mumm. Verbitterung stieg in Bronstein auf. Am liebsten hätte er sich spornstreichs betrunken. Doch irgendetwas hielt ihn am Radiogerät. Er wollte nun auch das Ende der Rede hören.
„Der Herr Bundespräsident hat den General der Infanterie Schilhawsky, den Generaltruppeninspektor, mit der Führung der Wehrmacht betraut. Durch ihn werden weitere Weisungen an die Wehrmacht gegeben.“ Schuschnigg holte noch einmal kurz Luft: „So verabschiede ich mich in dieser Stunde von dem österreichischen Volk mit einem deutschen Wort und einem Herzenswunsch: Gott schütze Österreich!“
Bronstein glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Dieser Auftritt war ja noch erbärmlicher gewesen, als eingefleischte Regimegegner hätten annehmen dürfen. Das konnte doch unmöglich alles sein! Die Rede war gleichwohl zu ihrem Ende gekommen. Im Hintergrund hörte man ein paar verlorene Stimmen „Österreich“ murmeln, ehe der Radiosender abblendete und die österreichische Bundeshymne einspielte, die freilich auch schon als die deutsche Hymne verstanden werden konnte, denn die Melodie war ja dieselbe. Und doch klang die gespielte Version so ganz anders als jene, die üblicherweise aus Deutschland zu hören waren. Hier kam kein martialischer Marsch zum Vortrag, sondern ein melancholisches Streichquartett. Es klang wie ein Requiem. Passend, dachte Bronstein und seufzte.
Aber durfte man das alles so einfach hinnehmen? Unterschied sich der Mensch nicht gerade dadurch vom Tier, dasser zu eigenständigem Handeln fähig war? Er konnte es doch unmöglich zulassen, dass ein Mensch wie Seyß-Inquart neuer Kanzler wurde. Immerhin hatte er den Beweis dafür, dass diese Person zwei Morde in Auftrag gegeben hatte. Nun, zumindest einen, falls Schönberger in der Causa Frank auf eigene Faust gehandelt hatte. Und offenbar suchte Präsident Miklas doch ohnehin nach einem Grund, Seyß-Inquart nicht anzugeloben. Wenn er also noch einmal auf den Ballhausplatz eilte? Vielleicht ließe ihn die Präsidentschaftskanzlei unter den gegebenen Umständen vor? Immerhin barg, was er zu sagen hatte, einigen Sprengstoff in sich.
Doch der kurze Moment aufkeimender Euphorie brach sogleich wieder in sich zusammen. Ein kleiner Beamter hatte schon unter normalen Bedingungen keine Chance, des Präsidenten ansichtig zu werden, geschweige denn in Momenten der Staatskrise. Niemals würde er Miklas sprechen können, und es war höchst zweifelhaft, ob ihm irgendeiner seiner Mitarbeiter Gehör schenken würde. So blieb Bronstein nur, erneut zu seufzen. Diesmal vielleicht eine Spur lauter als zuvor.
Während er sich eine weitere Zigarette griff, flog die Tür auf, und Cerny betrat den Raum. Instinktiv sah Bronstein auf: „Hast es schon g’hört?“
„Was heißt g’hört! G’hört und g’seh’n. Links und rechts am Ring sammeln sich die Nazis aus allen Ecken und Enden. Das schaut aus, als gäb es hunderttausend von denen allein in Wien. Und überall heißt es, der Seyß-Inquart wird Kanzler. Ausgerechnet der.“
„Ja“, schöpfte Bronstein neue Hoffnung, „man müsste den Miklas irgendwie von unseren Ergebnissen in Kenntnis setzen. Dann macht er den Nazis vielleicht doch noch einen Strich durch die Rechnung.“
„Schön wär’s. Aber dort haben wir keinen Zutritt. Das ist eine Nummer zu groß für uns. … Und selbst wenn, wir können ja überhaupt nichts beweisen!“ Cerny wirkte resignativ.
„Aber
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