Zores
wieso? Wir haben doch die Aussage vom Schönberger!“
Cerny sah auf: „Haben wir die? Ich weiß nur, dass er uns in seiner Wohnung allerhand erzählt hat. Aber ich wüsste nicht, dass es davon ein offizielles Protokoll gibt. Und selbst wenn es dieses gäbe … was zählt die Aussage eines Vorbestraften gegen die eines Ministers und BeinaheschonKanzlers? Im Zweifelsfall sagt der einfach: Davon hab ich nix gewusst! Und wie willst ihm da das Gegenteil beweisen? Und zwar unter den gegebenen Bedingungen?“
„Man müsste halt …“
„Außerdem“, fiel Cerny Bronstein ins Wort, „wird der Schönberger selbst eine hübsche Weile keine Aussage machen können. Das heißt, wenn er überhaupt überlebt. Nein, nein, Oberst, so ein Kronzeuge ist vollkommen wertlos.“
„Und wenn wir bluffen? Das haben wir ja auch schon früher gemacht.“
„Ja, aber früher ist nicht heute! Ich war entsetzt, wie viele Kollegen ich in der Menge gesehen habe. Alle trugen sie Hakenkreuzbinden. Sogar die, welche hauptamtliche Funktionäre der Vaterländischen Front waren beziehungsweise sind. Also ich an deiner Stell’ würd mich auf die Kollegen nicht mehr verlassen.“
Bronstein sackte in sich zusammen und starrte auf die Tischplatte. So musste sich ein Verbrecher fühlen, wenn er von Cerny und ihm eindeutig überführt worden war. Wenn die Konsequenzen seiner Tat ihm unausweichlich und alles andere übertönend vor dem inneren Auge erstanden.
Wann beging man überhaupt ein Verbrechen? Wenn man glaubte, damit durchzukommen. So gesehen waren eigentlich alle in dieser Geschichte Verbrecher, denn alle hatten sie geglaubt, für ihre jeweiligen Taten nicht zur Verantwortung gezogen zu werden. Schuschnigg und sein mickriges Regime mit ihrer erbärmlichen Politik. Die Zeitungsmacher mit ihrer Kumpanei der Politik gegenüber. Die Wirtschaftskapitäne, die sich noch schnell rücksichtslos bereichert hatten. Alle gemeinsam hatten sie die Republik und ihre Errungenschaften verspielt. Doch auch er, Bronstein, trug Verantwortung. Er hatte auch geglaubt, er würde davonkommen, wenn er sich einfach nur konformistisch verhielt. Er hatte sich eingeredet, ohnehin alles richtig zu machen. Jetzt aber zeigte sich, dass es kein richtiges Leben im falschen gab. Und Bronstein wusste, dass er auch jetzt, in der entscheidenden Sekunde, nicht den Mut aufbringen würde, der Geschichte in den Arm zu fallen. Und genau dadurch sorgte er selbst für seine unausweichliche Bestrafung, die gnadenlose Konsequenz seines Handelns, beziehungsweise eben seines Nicht-Handelns war. Die Beamten hatten den Staat, so wie er war, gestützt. Sie hatten die Politiker gewähren lassen, auch als schon absehbar war, dass diese das ganze System in den Abgrund führen würden. Nun nahm das Volk all das nicht mehr hin, sondern lief lieber einem Rattenfänger nach, als sich länger mit hohlen politischen Phrasen abspeisen zu lassen, deren Halbwertszeit kürzer war als die von Jod. Wahrscheinlich hatten die Menschen tatsächlich nur auf jemanden gewartet, der ihren Zorn für sie artikulierte und den Kampf für sie ausfocht. Und da der nun gekommen zu sein schien, dieser merkwürdig mystische Retter, wagten sich die Leute aus ihrer Deckung. Was die alte Erkenntnis bestätigte, dass jeder nur so stark war, als man ihm zubilligte. Der Ständestaat fiel wie ein Kartenhaus in sichzusammen, und für seine Beamten bedeutete dies: mitgefangen, mitgehangen.
„Und was machen wir jetzt?“, fragte Bronstein beinahe tonlos.
Cerny zuckte mit den Schultern. „Solange der Miklas Widerstand leistet, ist noch nicht alles verloren. Aber gut schaut’s nicht aus. Ich kann auf keinen Fall weiter Polizist sein, wenn wir da eine Diktatur der Nazis haben.“ Ärgerlich blies Cerny Luft aus und ließ sich mit der rechten Gesäßhälfte auf den Tisch plumpsen. „Geh, gib mir auch eine!“
„Echt? Aber du rauchst doch gar nicht!“
„Na und? Außerordentliche Zeiten verlangen nach außerordentlichen Maßnahmen! Außerdem sagst du immer, beim Rauchen kann man besser nachdenken!“ Cerny nahm die dargebotene „Donau“ entgegen, zündete sie an und tat einen tiefen Zug. Dann hustete er eine Weile, ehe er, endlich wieder zur Ruhe gekommen, einen Augenblick vor sich hinstarrte.
„Du musst weg“, sagte er dann.
„Wie bitte?“
„Du musst weg! Zumindest vorübergehend, um die nächsten Entwicklungen aus sicherer Distanz abzuwarten. Wenn die ganze Sache gut ausgeht, kannst immer noch
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