Zores
Jedlicka, des is da a sehr heikle Ermittlung. Grod on an Tog wie heut. Also machen S’ keine Umständ’, gell.“
Die Jedlicka überlegte kurz, ob sie sich dieser Anweisung widersetzen sollte, zuckte dann aber nur mit den Schultern, murmelte: „Man wird ja wohl noch fragen dürfen“ und zog sich tatsächlich in ihre Wohnung zurück. Bronstein unternahm einen zweiten Versuch, die Treppe zu erklimmen, als mitten auf halbem Wege das Ganglicht ausging. Bronstein fluchte leise und tastete sich dann den Handlauf entlang nach oben. Im ersten Stock angekommen, drückte er auf den Lichtschalter und hatte unmittelbar danach freien Blick auf das Siegel an Suchys Tür. Wenigstens etwas, das noch hielt, dachte er wehmütig und nahm das nächste Stockwerk in Angriff.
Je näher er der Wohnung der Raczek kam, desto mehr verlangsamte er seine Schritte. Was sollte er ihr überhaupt sagen, wenn sie tatsächlich zu Hause war? Hallo, ich wollte nur ein Treffen absagen, das wir gestern vage vereinbart hatten. Warum? Ach, weil die Nazis die Macht übernommen haben, die mich für einen Juden halten, weshalb ich jetzt einmal abtauchen muss, wobei ich nicht einmal weiß, wohin. Ja, ja, das klang wahnsinnig überzeugend.
Bronstein ertappte sich bei dem Wunsch, es wäre umgekehrt. Er hieße Raczek und sie Bronstein. Dann könnte er auf fürsorglich machen und Johanna erklären, er komme nur, um persönlich nach dem Rechten zu sehen, damit sie sich auch inderart stürmischen Zeiten wirklich vollkommen sicher fühlen könne. Doch wenn Cernys Analyse stimmte, dann wäre in diesem Fall Johanna tatsächlich in Gefahr, und das konnte er nun auch wieder nicht wollen. Da war es schon besser, er selbst war gefährdet.
„Ja, David! Was machst denn du da? Bewachst meine Wohnungstür oder was?“
Ohne dass er es bemerkt hätte, war die Raczek hinter ihm die Treppe emporgekommen. Von ihrem Erscheinen überrascht, drehte sich Bronstein um und fuchtelte verlegen mit den Händen herum. „Ich … äh …“ Sein Versuch, sich zu erklären, scheiterte kläglich.
„Na, komm erst einmal rein“, meinte sie, während sie den Schlüssel ins Schloss steckte und die Tür öffnete. Sie stellte ihre Tasche ab und zog dann den Mantel aus. „Magst was trinken? Bier, Wein, Wasser, …? Einen Tee vielleicht?“
Bronstein stand verlegen hinter der Tür und wusste nicht, wohin mit sich.
„Aber so setz dich doch.“ Johannas entwaffnendes Lächeln nahm ihm ein wenig von seiner Befangenheit. Sie leerte schnell den Aschenbecher aus und stellte ihn mitten auf den Tisch, wo sich auch eine Schachtel Zündhölzer befand.
„Ein Tee … mit einem Stamperl …, das käm jetzt grad recht.“ Bronstein hatte endlich seine Sprache wiedergefunden. Johanna antwortete mit einem neuerlichen Lächeln, holte eine Schnapsflasche aus der Abwasch hervor und platzierte auch diese vor Bronsteins Nase. Danach wandte sie sich nach links, öffnete ihre Kredenz und griff nach zwei Porzellanhäferln sowie nach zwei Schnapsgläsern. Auch diese kamen sogleich auf der Tischfläche zu stehen, während Johanna umgehend daranging, auf dem Herd Wasser zu kochen.
„Jetzt sag schon, weshalb bist wirklich zu mir gekommen? Hat’s was mit den Morden im Haus zu tun? Oder ist dein Besuch privater Natur?“ All das sagte sie, ohne sich umzudrehen, sodass Bronstein nicht erkennen konnte, welche Art von Antwort sie erwartete.
„Mein Besuch ist … privat. Aber den Täter haben wir auch schon, falls dich das beruhigt“, fügte er eilig hinzu. Die Raczek wirbelte herum: „Und wer war’s?“
„Ein anderer Nazi. Eine interne Abrechnung …“
„Na klar, jetzt, wo sie den Laden da übernehmen, jetzt schaut jeder, wo er bleibt. Die Räuber streiten sich um die Beute.“
Obwohl dieses Bild nicht ganz den Tatsachen entsprach, fand es Bronstein dennoch passend. Wahrscheinlich würden die diversen Nazigrößen bereits eifrig um Posten und Einfluss rangeln, während der Bundespräsident noch mit sich rang, ob er der Erpressung aus Berlin nachgeben oder besser demissionieren sollte. Doch auf Miklas zu hoffen, war in höchstem Ausmaß töricht. Der hatte zwar immer wieder einmal auf den Tisch gehaut, aber wenn es darauf ankam, dann zog er ja doch stets den Schwanz ein.
Der Miklas, dachte Bronstein, während Johanna die Teekanne vorbereitete, um sodann das kochende Wasser einzugießen. Der hatte 1933 geschwiegen, als Dollfuß die Verfassung gebrochen und die Demokratie abgeschafft hatte. Der hatte 1934
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