Zorn der Meere
kehrten zurück. Vertrauen, fuhr es ihr durch den Sinn. Wie gern möchte ich jemandem vertrauen! Doch wie soll das angehen, wenn die Schatten nicht weichen und nicht aufhören, meine Seele zu verdüstern?
Draußen vor dem Zelt wartete Zeevanck auf Lucretia. Er grinste verschlagen. »Der Unterkaufmann hat offenbar ein Auge auf Euch geworfen«, bemerkte er.
»Er weiß, dass ich verheiratet bin«, erwiderte Lucretia knapp.
»Das hat der Kommandeur ebenfalls gewusst.«
»Wagt es nicht -«, begann Lucretia, doch Zeevanck fiel ihr ins Wort.
»Steigt endlich von Eurem hohen Ross herunter, meine Dame«, höhnte er. »Immerhin habt Ihr Euch auf der Batavia vor aller Augen amüsiert.«
Lucretia wusste, dass sie ihn am besten keiner Antwort würdigte, doch sie schaffte es nicht zu schweigen. »Ich glaube, dass Ihr Eure Stellung vergesst«, erklärte sie hochmütig.
Zeevanck lachte laut auf. »O nein, meine Dame!«, entgegnete er. »Das tue ich nicht. Eher ist das Gegenteil der Fall. Die anderen« - er machte eine Geste über die Insel hinweg, die Lucretia mit einschloss - »sollten ihre Stellung vergessen.
-325-
Zwischen Euch und den Vögeln besteht kein Unterschied mehr.«
Lucretia wich die Farbe aus dem Gesicht, als sie begriff, dass Zeevanck die Wahrheit sagte. Auf der Insel zählte niemand mehr, außer Jeronimus und denen, die er erhöhte.
Zwei Tage später machten sich Sussie, Tryntgen und Anneken auf, um auf der Insel nach Nahrung zu suchen.
Tryntgen hatte ihre Röcke geschürzt und watete durch das Wasser bis zu den Felsen, um Austern zu sammeln. Anneken suchte die Büsche nach Nestern mit Vogeleiern ab, während Sussie sich auf die Knie niedergelassen hatte und die Steine umdrehte, um Taschenkrebse zu fangen.
Als sie sich wieder aufrichtete, glitt ihr Blick über das Meer.
Da draußen trieb ein aufgeblähter Sack oder ein Stück Holz und kam schaukelnd auf sie zugeschwommen.
Sussie stand auf und lief ins Meer.
Als sie erkannte, worum es sich handelte, stieß sie einen gellenden Schrei aus. Sie ruderte wild mit den Armen, drehte sich um und flüchtete.
Die beiden anderen Frauen rannten zu ihr hin. Dann hielten sie jedoch inne und starrten auf das, was sich vor ihnen auf den Wellen wiegte.
Es war eine Leiche. Die Leiche eines Mannes, dem die Krebse und die Meerasseln die Augen weggefressen und Ohren und Lippen angeknabbert hatten. Der restliche Körper befand sich in einem Zustand der Verwesung, doch scharfe Zähne hatten seine Bauchdecke aufgerissen, so dass die Innereien hervorgequollen waren, die nun wie ein graugrünes Bündel an seiner Seite schwammen.
Das Gesicht konnte Sussie nicht mehr erkennen, doch als ihr Blick auf die Arme fiel, erkannte sie noch mit Mühe die Tätowierung.
-326-
Der Tote war Groenewald.
Die Leiche trieb weiter auf den Kanal zwischen den Inseln zu.
Dort würden die Haie das, was von dem Mann übrig war, zerreißen.
Tryntgen wandte sich ab. Sussie hörte, wie sie sich keuchend erbrach.
Fort Batavia
siebter Tag des Juli im Jahre des Herrn, 1629
Francois stand an Deck der Zandaam und hielt den Blick auf die grünen Hänge gerichtet, die sich hinter dem Fort erhoben.
Sein Magen zog sich zusammen, und im Rachen stieg ihm der Geschmack bitterer Galle auf. Die Furcht, die ihm seit Wochen Gesellschaft leistete, hatte sich zu Panik gesteigert. Er kam sich nackt vor, elend, verloren. Er hatte nicht mehr die geringste Ähnlichkeit mit dem stolzen Repräsentanten der Companie.
Während der Nacht hatte er die Rede eingeübt, die er vor dem Gouverneur zu halten gedachte, doch die Argumente, die ihn da noch überzeugt hatten, schmolzen in der schwülen Luft dahin und lösten sich in nichts auf.
Vom Hafen legte ein Beiboot ab und nahm Kurs auf die Zandaam. Nachdem es angelegt hatte, ließ sich Francois am Fallreep hinab, gefolgt von Rambruch und den Offizieren.
Die Ruderer lotsten sie zwischen den vertäuten Handelsschiffen hindurch auf die aufragenden Wälle der Festung zu.
Francois erkannte die spitzen Pfähle des Gatters und sah die Geschütze, die auf den Dschungel zielten, wo sich der Sultan von Mataram verborgen hielt. Er belagerte die Stadt bereits seit zehn Jahren.
-327-
Francois spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Die Soldaten auf der Batavia hatten in diesem Krieg kämpfen sollen.
Auch sie hatte er verloren.
Sie glitten durch die Pforte in den Binnenhafen und anschließend durch den Kanal, der die Festung von der Stadt trennte.
Francois erblickte
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