Zorn der Meere
eine Dame namens van der Mylen an Bord?«
Francois verspürte einen Stich in seiner Brust.
»Das ist richtig«, erwiderte er leise.
»Hat sie den Untergang überlebt?«
»Ich habe ihr selbst in eines der Boote geholfen«, log Francois, indem er sein Gesicht abwandte. Wie oft hatte er an Lucretia gedacht! Und kaum einmal, ohne sich nach ihr zu sehnen. »Sie war auf dem Weg zu ihrem Gemahl«, murmelte er.
»Welch eine Ironie!«
»Inwiefern das?«
»Ihr Mann ist gestorben. Ich habe es eben erfahren. Vor etwa zwei Monaten ist er einem Fieber erlegen. Da wart Ihr vermutlich gerade in der Tafelbucht.«
Francois spürte sein Herz rasen. Adriaen Jacobs, du sturer Hund, ich hätte dich doch einkerkern sollen, fluchte er. Wenn du Halunke nicht der Kapitän gewesen wärst, hätte Lucretia Batavia als Witwe erreicht, und nach einer Weile hätte ich offen um sie werben können.
Francois fuhr sich über die Stirn. Sie hätte ihm gehört, ihm allein. Welch qualvolle Foltern das Leben doch in seiner Vorratskammer bereit hält, sinnierte er. Just in dem Augenblick, in dem man glaubt, man könne nichts mehr ertragen, bohrt es noch einmal nach und zieht die Schraube an, so dass man den Leib aufbäumt und schreit.
»Ihr seid sehr blass geworden. Fühlt Ihr Euch nicht wohl?«
»Nur die alte Geschichte«, entgegnete Francois. »Ein leichtes Frösteln.«
»Ihr müsst zu Bett, Pelsaert. Ihr schwankt ja auf den Beinen!
Ich werde zusehen, dass der Gouverneur Euch erst morgen früh empfängt.«
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»Nicht doch«, versuchte Francois abzuwehren, doch Rambruch blieb hart.
»Ihr seht aus wie eine Leiche«, flüsterte er Francois zu. »Ich hielte es für angebrachter, dem Gouverneur frisch und ausgeschlafen zu begegnen. Lasst mich nur machen - ich regele das für Euch. Trinkt Euren Cognac aus. Ich werde den Sekretär des Gouverneurs entsprechend unterrichten.«
Francois sah das Gesicht des anderen vor seine n Augen verschwimmen. Er nickte unmerklich und tastete nach einem Halt.
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XX
Gerade geht mir etwas Lustiges durch den Sinn, bei dem Sie mitlachen sollten.
Gott habe den Menschen nach seinem Abbild geschaffen, heißt es, woraufhin ich mich frage, ob dann nicht Gott und der Mensch gleich sein müssen.
Wenn dem so ist, wäre Gott indes ein reichlich unbeständiger Bursche - mal mitfühlend, mal kalt, hier mutig, da feige, an einem Tag langweilig, am nächsten amüsant. Das erklärte natürlich sein launiges Verfahren, unangenehme Personen mit Reichtum zu belohnen, brave hingegen mit Krankheit und Not.
Doch ich habe Gott noch nie verstanden. Ich bin nämlich gradlinig und handele schlüssig.
Wenn ich die Menschen über ihn reden höre, schüttele ich jedoch den Kopf. Wie kann man sich jemanden gleichsam weise, gerecht, liebevoll, rachsüchtig, zornig und eifersüchtig denken? Es liegt doch auf der Hand, dass so jemand einfach nur tut, was er will.
Wenn ich mir das vor Augen halte, kommt mir oftmals der Verdacht, dass die Menschen im Grunde wenig über den Geist wissen, der sie regiert. Vielmehr haben sie eine Instanz erfunden, die nach Bedarf und Belieben einzusetzen ist - womit sie Gott dann in der Tat ein wenig ähnlich wären.
Fort Batavia
An diesem Morgen sah Gouverneur Jan Pieterszoon Coen besonders eindrucksvoll aus. Unter seinem spitz getrimmten schwarzen Bart fiel von dem weißen Spitzenkragen eine dicke Rüsche herab, die mit einer schweren Goldkette ein schwarzes Samtwams schmückte.
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Der Gouverneur war bereits zu Lebzeiten eine Legende, mit einem Ruf, der ihm sowohl Rücksichtslosigkeit als auch Frömmigkeit und einen unerbittlichen Ordnungswillen nachsagte.
Seine dunklen Augen ruhten kalt auf Francois.
Francois zwang sich, seinen Blick von der Goldkette zu lösen, doch als er die gnadenlosen Augen gewahrte, zog er es vor, seine Aufmerksamkeit auf den dunklen Wandteppich zu richten, der hinter dem Gouverneur hing.
Wenn Rubens Gott hätte malen wollen, fuhr es dem Kommandeur durch den Sinn, hätte er in Coen ein ideales Modell gefunden.
»Nun«, begann dieser nach einer Weile, »Ihr habt also nicht nur das Schiff verloren, sondern auch die Menschen ihrem Schicksal überlassen.«
Francois erschrak. Ein schnelles Urteil! Dabei war er noch nicht einmal bei seinen Entschuldigungen angelangt, sondern hatte bisher nur den reinen Tatbestand geschildert.
»Der Untergang des Schiffes geht nicht zu meinen Lasten«, erwiderte er.
»Habt Ihr die Instrumente abgelesen?«
»Selbstverständlich tat
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