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Zorn der Meere

Zorn der Meere

Titel: Zorn der Meere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falconer,Colin
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ihre Peiniger in jener Nacht zurückgelassen hatten.
    Jeden Schutzwall, den Lucretia um sich aufzurichten trachtete, rissen Jeronimus und seine Schergen wieder ein.
    Inzwischen war alles zerstört. Ihr Ansehen, ihr Mut, ihre Stärke.
    Bin das wirklich ich? fragte sich Lucretia grübelnd. Ist dieses nackte Ich Lucretia van der Mylen?
    Jeronimus' Stimme war wie ein Summen. Mit einem Mal jedoch vernahm Lucretia einen Schrei. Sie fuhr auf. »Was war das?«
    Jeronimus hielt inne. Er ließ sein Buch sinken und blickte sie vorwurfsvoll an. »Ihr habt mir nicht zugehört«, bemerkte er gekränkt.
    »Da war ein Schrei.«
    »Es wird der Wind gewesen sein.«
    »Nein. Jemand hat um Hilfe gerufen.«
    »Lucretia, bitte! Ihr fantasiert!«
    Wieder ertönte ein Schrei. Er stammte eindeutig von einem Menschen.
    »Ich will wissen, woher das kommt«, sagte Lucretia. Sie stand auf, warf sich ihren Umhang über und eilte aus dem Zelt.
    Jeronimus erhob sich langsam, um ihr zu folgen.
    Draußen schlug der Wind Lucretia die Röcke um die Beine.
    Sie hastete auf den Strand zu.
    -385-

    Über ihr jagten Wolken den dunklen Himmel entlang. Als sie den Mond freigaben, erkannte Lucretia Schatten am Strand.
    »Lucretia!« Jeronimus war neben ihr und hielt sie fest. Doch Lucretia befreite sich aus seinem Griff und rannte weiter. Der Regen peitschte ihr ins Gesicht. Ihr Fuß verfing sich in einem Erdloch. Lucretia strauchelte, stürzte und rappelte sich wieder hoch.
    Abermals trat der Mond zwischen den Wolken hervor.
    Lucretia erkannte eine Gruppe Männer, die durch die Lagune plantschten und lachten. Sie hatten den, der schrie, umzingelt.
    Dann verstummte der Schrei und wurde von dumpfen Geräuschen abgelöst. Lucretia sah Äxte durch die Luft fahren und Schwerter aufblitzen. Sie erkannte Zeevancks Stimme.
    Jeronimus stand hinter ihr. Lucretia spürte seinen Atem im Nacken.
    »Warum brauchen sie so lang, um einen Menschen umzubringen?«, fragte sie verzweifelt.
    »Es macht ihnen so mehr Spaß, meine Liebe.«
    Es gibt unterschiedliche Wege, eine Frau in die Geheimnisse der Fleischeslust einzuführen.
    Tryntgen hatte sie von ihrem Mann in ihrer Hochzeitsnacht erfahren. Er war sanft mit ihr umgegangen, und nach einer Weile hatte es ihr gefallen. Anneken Hardens und ihr Mann hatten bereits vor ihrer Hochzeit beieinander gelegen, oftmals hastig und verstohlen im Heu und stets von der Furcht besessen, Annekens Vater würde sie entdecken und sie mit rotglühender Wut züchtigen und verjagen.
    Sussie lernte diese Geheimnisse erstmals in einem armseligen Zelt von drei Männern mit stinkendem Atem, von denen zwei zusahen, wie der erste mit ihr verfuhr.
    Der Mann, der Sussies Unschuld geraubt hatte, war Mattys Beer.
    -386-

    Sussie hatte unterdessen die Augen geschlossen und die Zähne zusammengebissen. Sie litt entsetzliche Qualen, doch Mattys störte das nicht. Warum auch? dachte Sussie, vermutlich geht es ihm ja genau darum.
    Später waren die anderen an die Reihe gekommen. Zuerst die beiden, die zugeschaut hatten, danach die, die vor dem Zelt standen und warteten. Der Kabinenjunge Pelgrom war unter ihnen und der Jonker van Os. Sussie versuchte, nicht zu denken.
    Es war ihr gleich, was sie mit ihr taten, solange man sie am Leben ließ.
    Vielleicht konnte sie dem Tod entrinnen, wenn sie sich anstellig zeigte und willig reagierte.
    Später gewöhnten sich die Männer daran, Sussie und Tryntgen abwechselnd zu nehmen. Im trüben Schein der Lampe drehte Sussie dabei zuweilen den Kopf zur Seite und versuchte Tryntgen in die Augen zu sehen - zwei leere Löcher, die sich schmerzlich verdunkelten, wenn der Mann auf Tryntgen roh in sie drang.
    In solchen Augenblicken streckte Sussie ihre Hand aus, ergriff die von Tryntgen und strich sanft darüber hinweg.
    Auf dem Schiff hatte Tryntgen Sussie anvertraut, bei einem Mann zu liegen bereite der Frau Vergnügen. Vielleicht in einem anderen Leben, sagte sich Sussie. Das, was mit ihnen geschah, bereitete ihr wahrlich kein Vergnügen, eher kam es ihr wie ein Albtraum vor, der Nacht für Nacht über sie hereinbrach.
    Das Leben in Jeronimus' Königreich hatte feste Formen angenommen.
    Die neuen Aristokraten unterschieden sich von dem gemeinen Volk nicht allein in der Art, wie sie sich kleideten, sondern auch in der Weise, wie sie den Tag verbrachten. Der Adel besaß Dienstboten, die für Nahrung sorgten, Fische und Krebse fingen, Austern und Eier sammelten - ängstliche Untergebene, die unauffällig umherhuschten und um ihr

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