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Zorn der Meere

Zorn der Meere

Titel: Zorn der Meere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falconer,Colin
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jedoch sicher: Als Toter nutze ich niemandem mehr.

    Auf dem Friedhof

    Die Frauen saßen in ihrem dunklen Zelt und horchten auf die Männer, die sich draußen betranken.
    Anneken Hardens hatte sich in eine Ecke gekauert.
    Seit dem Nachmittag war Hilletje verschwunden.
    Jeronimus hatte erklärt, das Kind müsse beim Spielen ertrunken sein. Hans Hardens ha tte gleichmütig neben ihm gestanden.
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    Anschließend trug Jeronimus Anneken auf, sich mit den anderen Frauen bereit zu halten, für den Fall, dass einer der Männer Lust auf sie verspüre.
    Vor Tagen hatte eine Frau zu flüchten versucht. Der Steinmetz hatte sie jedoch gefasst, ihr mit seinem Messer das Gesicht aufgeschlitzt und sie blutüberströmt in das Frauenzelt geschleppt. Wie einen Sack hatte er die Frau auf den Boden geworfen. Das sollte nur eine Lehre sein, hatte er erklärt.
    »Sussie, mein Schatz!«, grölte draußen einer der beiden van-Welderen-Brüder. »Wartest du schon auf mich?« Er wandte sich an die anderen. »Die Kleine kriegt nie genug.«
    »Das habe ich anders in Erinnerung«, beschwerte sich Mattys Beer.
    »Vielleicht gefalle ich ihr besser.« Van Weideren kicherte.
    »Ich habe schon alle durchprobiert«, prahlte Jan Pelgrom.
    »Ich finde, Tryntgen ist die größte Hure.«
    Sussie sah, dass Tryntgen ihr Gesicht in den Händen verbarg.
    »Ich will Tryntgen heute als Erster haben«, quengelte Pelgrom.
    »Dann nehme ich mir Sussie vor«, schaltete sich Allert Janz ein. »Ich habe mir eine kleine Spezialität für sie ausgedacht.
    Etwas, das sie sich nicht einmal im Traum vorstellt.«
    »Los, würfeln wir, wer als Erster drankommt!«
    »Ich packe mir die fette Hardens«, grunzte Jan Hendricks.
    »Dabei kann ich ihr gleich beichten, dass ich ihre Kleine beseitigt habe.«
    Anneken erstarrte. Sie riss den Mund auf, und ein eigentümlicher Laut entrang sich ihrer Kehle. Dann stand sie auf, tat ein paar unsichere Schritte und tastete mit den Händen in der Luft, ehe sie zu taumeln begann. Eine Frau sprang auf und stützte sie. »Keinen Mucks, Anneken!«, flüsterte sie. »Wir sind bei dir. Komm, halte dich an mir fest!«
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    Sussie hatte sich an Tryntgen geschmiegt. Bisweilen drückte sie Tryntgens Hand und wartete auf deren Gegendruck.
    Ich wünschte, die da draußen würden aufhören herumzutönen, dachte Sussie. Warum kommen sie nicht einfach rein und erledigen das, was scheinbar so unabänderlich ist? Sie entsann sich, dass sie noch nicht einmal ihre Monatsblutung gehabt hatte, als sie Amsterdam verließ, doch inzwischen fühlte sie sich wie eine alte Frau.
    Knirschende Stiefelschritte näherten sich dem Zelteingang.
    Sussie hielt den Atem an. Der Vorhang, der vor dem Eingang hing, wurde zurückgeschlagen. Im Fackellicht stand Jan Hendricks und grinste. »Anneken«, hub er an, »komm zu mir!
    Ich habe eine Überraschung für dich.«
    Lucretia hörte, wie der Wind gegen die Zeltwände schlug.
    Regenschauer prasselten auf das Dach, und kalte feuchte Luft drang durch die Ritzen hindurch.
    Jeronimus schien nichts davon wahrzunehmen.
    Er saß neben Lucretia, hatte ein Buch aufgeschlagen und las ihr Gedichte vor. Ob es sich um seine eigenen handelte oder ob er sie abgeschrieben hatte, wusste Lucretia nicht. Sie vermochte sich ohnehin nicht zu konzentrieren und hörte nur halb auf das, was er las.
    Ich habe mich in eine andere Frau verwandelt, dachte sie, in eine Frau, die nicht mehr weiß, wer sie ist. Sie versuchte, sich der alten Lucretia zu entsinnen, der angesehenen Frau van der Mylen aus der Heerengracht, die, umgeben von ihren Dienstboten, ein geordnetes Dasein führte. Bisweilen tauchte das Bild eines früheren Kleides vor ihren Augen auf, doch an die Frau, die darin gesteckt hatte, erinnerte sie sich nicht. Diese Frau war zerbrochen, als man ihr Gewalt antat. Später hatte sie die Scherben aufgesammelt und zu kitten versucht, und für eine Weile hatte die Form wieder gehalten. Inzwischen jedoch war auch diese Form längst zerstört. Hier und da erinnerte sie sich
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    wohl daran, dass ihr Herz einmal gebrannt hatte und seinem Feuer Träume entstiegen waren. Doch von diesem Feuer erahnte sie allenfalls noch die dünnen Schleier des Rauches. Vielleicht sollte ich mich als Ehebrecherin fühlen, fuhr ihr durch den Sinn.
    Oder einfach nur als angstgepeinigter Schatten, der sich in seinem Zelt verkroch, wenn Sussie und Tryntgen schrien.
    Ebenso gut konnte es jedoch sein, dass sie nur noch als der übelriechende Leib existierte, den

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