Zorn der Meere
eine Stimme. »Die Geschichte hast du schon tausend Mal erzählt.«
»Schade, dass wir keinen Wein zum Feiern hatten«, brummte ein Dritter.
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»Zum Feiern ist es noch zu früh«, bemerkte Wiebe. »Die kehren mit Sicherheit zurück. Ich weiß, dass Jeronimus derlei nicht auf sich sitzen lässt.«
»Wenn sie mit den Musketen kommen, sind wir am Ende«, erhob sich eine neue Stimme. »Ich an ihrer Stelle käme mit den Musketen.«
»Ich täte das Gleiche«, stimmte Wiebe ihm zu. »Doch mit stärkeren Geschützen anzurücken ist Soldatenart. Jeronimus denkt anders. Jeronimus hält sich für schlauer als die Soldaten.«
»Er wird nicht immer siegreich bleiben«, erklärte ein anderer.
»Einmal hat er nun bereits verloren. Womöglich beginnen die Menschen da drüben aufzubegehren. Sie fragen sich vielleicht, ob sie auf der richtigen Seite stehen. Sie könnten versuchen, sich zu uns herüberzuretten.«
»Die Hauptsache ist, dass wir wissen, dass wir auf der richtigen Seite stehen«, entgegnete Wiebe. »Jeronimus ist ein schlauer Fuchs. Mit ihm muss man rechnen, solange er lebt.«
-432-
XXVIII
Gewalt, Ruchlosigkeit, die Lust zu morden - das sind recht außerordentliche Mächte, die den Menschen blindlings über einen schmalen Grat vorwärtstreiben, von dem links und rechts tiefe Schluchten abgehen.
Es wird jedoch Momente geben, in denen der Mensch einhalten will, um zu verschnaufen, zu verweilen, sich zu besinnen. In solchen Momenten mag er erkennen, dass er einsam geworden ist oder dass ihn vor dem Abgrund schaudert.
Das wird ihm indes nichts nutzen, denn er hat sich längst von den übrigen Menschen entfernt, ist zu weit vorgedrungen, hat zu lang mit diesen Mächten gejagt.
Tja, was soll er nun tun, der Einsame, Schaudernde, während er von einem Fuß auf den anderen tritt und in eine Leere hineinruft, aus der nur sein Echo zurückschallt?
Er kann sich so sehr erschrecken, dass er umgehend der Verzweiflung erliegt. Das ist denkbar, jedoch unwahrscheinlich.
Nein, weitaus wahrscheinlicher beginnen ihm die Füße zu jucken, wie jedem, der zu lange auf der Stelle tritt. Dann wird er seinen Weg, sprich: sein Tun fortsetzen. Er wird weitermorden, weiterquälen.
Nur - hier erscheint ein zusätzliches Problem, gewissermaßen der springende Punkt: Der Reiz seines Tuns nutzt sich ab.
Deswegen müssen seine Taten immer gewaltiger, grässlicher, schauriger werden, denn er will diesen Reiz ja von Neuem kosten, noch einmal den Kitzel erleben, der ihm ursprünglich den Anstoß gab.
Natürlich handelt der Mensch unter derlei Bedingungen nicht mehr vernünftig, sondern seltsam kopflos, zügellos gar, getrieben, eben - süchtig.
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(Donnerwetter, wie is t mir das jetzt geglückt? Genau darauf wollte ich hinaus.)
Also, kurz und bündig, die obig erwähnten Mächte treiben den Menschen zum Schluss aus sich heraus, und zwar häufig in den Untergang, und dann auf Nimmerwiedersehen.
Denken Sie also zweimal nach, ehe Sie sich treiben lassen!
Denken Sie an Jeronimus!
Auf dem Friedhof
zwanzigster Tag des August im Jahre des Herrn, 1629
Es gab nicht mehr viel zu tun auf der Insel. Es war kaum noch jemand da, den man töten konnte.
Allerdings ließen Jeronimus' Anhänger nun gelegentlich besorgte Blicke zum Horizont schweifen, ob dort womöglich Segel auftauchten, das Schiff der Companie zum Beispiel mit christlichen Holländern und dem Kommandeur an Bord.
Das beunruhigte ihre Gemüter mittlerweile sehr. Selbst Mattys Beer und David Zeevanck verspürten nun die ersten Gewissensbisse, wurden furchtsam, begannen plötzlich, sich selbst als Verfolgte zu fühlen.
Am Anfang war das nicht so gewesen. Da war Holland eine Ewigkeit weit entfernt, lag irgendwo hinter den Grenzen des Ozeans. Doch nun konnte es sich bereits direkt hinter der dunklen Wasserlinie befinden und mit dem Schiff der Companie täglich näher rücken. Nun war es mit einem Mal schwer, sich einzureden, dass jenseits dieses Horizonts die Welt zu Ende war.
Pelgrom und Hendricks langweilten sich wie alle anderen. Sie begaben sich an den Strand, um sich die Zeit zu vertreiben, und stießen auf Pfarrer Bastians.
»Schmeckt's?«, fragte Pelgrom, als er den Pfarrer an Grashalmen saugen sah.
-434-
Hendricks knuffte Pfarrer Bastians in die Rippen. »Habt Ihr Euch fleißig mit Gott besprochen? Was sagt der Herr denn so?«
Pelgrom zog sein Messer hervor, warf es in die Luft und fing es auf. Hendricks versetzte dem Pfarrer einen Tritt.
Sie fingen an zu
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