Zorn der Meere
prügeln, wie man will, doch wenn man ihm hernach einen Knochen reicht, kommt er gekrochen und wedelt mit dem Schwanz.
»Geht jetzt«, befahl er dem Pfarrer. »Denkt gut darüber nach, was ich gesagt habe. Wir werden es später noch einmal üben.«
Auf der Langen Insel
am zweiten Tag des September im Jahre des Herrn, 1629
Die Söldner hatten sich zum Kampf gerüstet, nachdem sie die beiden Flöße auftauchen sahen. Nun beobachteten sie, wie Pfarrer Bastians ans Ufer watete. Er hielt einen Stock in der Hand, an dessen Ende ein weißes Tuch als Friedenszeichen wehte.
»Da bin ich aber gespannt«, murmelte Wiebe.
Erstaunt betrachtete er Pfarrer Bastians' abgemagerten Körper.
Jeronimus hat ihn schlecht gefüttert, dachte er.
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»Was hat er vor?«, flüsterte jemand an seiner Seite.
»Das werden wir gleich erfahren«, flüsterte Wiebe zurück. Er erhob sich aus seinem Versteck und stieg zum Ufer hinab.
Die Flöße schaukelten in einiger Entfernung auf dem Wasser.
Sollten sie die Musketen bei sich haben, könnten sie mich erwischen, fuhr es Wiebe durch den Sinn. Er hielt inne und spähte geradeaus. Sie haben keine Pulverfässer an Bord, stellte er beruhigt fest und schritt weiter.
»Seid uns willkommen«, begrüßte Wiebe kurz darauf Pfarrer Bastians.
Der Pfarrer, fand er, erwiderte seinen Gruß mit derart unterwürfiger Dankbarkeit, dass es aussah, als habe man ihm ein unendlich großherziges Geschenk gemacht.
»Dem Herrn sei gelobt und gedankt«, murmelte Pfarrer Bastians. »Ich hatte Angst, Ihr würdet mich schlagen.«
Wiebe bedachte ihn mit einem verwunderten Blick. Danach schaute er noch einmal zu den Flößen hinüber, auf denen Jeronimus mit seinen Schergen in scharlachroten Röcken glänzten. Ihre Aufmerksamkeit war auf ihn und Pfarrer Bastians gerichtet.
Pfarrer Bastians hatte zu weinen begonnen.
»Na, na, was habt Ihr denn?«, besänftigte Wiebe ihn.
»Ihr ahnt nicht, wie sehr ich gelitten habe«, stieß Pfarrer Bastians hervor.
»Nun, ich glaube, wir wären alle gern woanders«, entgegnete Wiebe.
»Ich musste mich von Gras ernähren«, fuhr Pfarrer Bastians fort. »Sie haben meine Frau ermordet, meine Kinder -«
Wiebe wurde bleich. »Ist Judith -«
»Nein, nein«, wehrte Pfarrer Bastians ab. »Judith haben sie verschont. Judith geht es gut. Sie ist -«
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»Was will Jeronimus?«, unterbrach Wiebe ihn, ohne die Flöße aus den Augen zu lassen.
Inzwischen waren mehrere Söldner zu ihnen getreten.
»Weshalb sind sie hier?«, fragte einer.
»Sie wollen nur das Floß«, antwortete Pfarrer Bastians. »Wir haben nicht mehr genügend Wasser und Nahrung. Deshalb siedeln wir auf eine andere Insel um. Wenn ihr uns das Floß gebt, lassen sie euch in Frieden. Zudem erhaltet ihr ein Fass mit gutem Wein und zwei Truhen mit Stoffen und Decken.«
Wiebe schwieg.
»Ihr könntet euch neue Röcke machen.« Pfarrer Bastians Stimme hatte einen flehentlichen Unter ton angenommen.
»Der meine tut's noch für eine Weile«, entgegnete Wiebe unbewegt.
»Gebt ihnen das Floß«, drängte Pfarrer Bastians. »Bitte, tut es um meinetwillen! Ich kann nicht -«
Wiebe gebot ihm mit einer ungeduldigen Handbewegung zu schweigen. »Was meint ihr?«, wandte er sich an seine Kameraden. »Können wir Jeronimus trauen?«
»Erst wenn er gefesselt und geknebelt ist«, erwiderte einer.
»Ich würde dennoch gern mit ihm reden«, bemerkte Wiebe nachdenklich.
Er trat mit den anderen zur Seite. »Versteckt das Floß und Aris Janz«, trug er ihnen leise auf. »Ich möchte wissen, ob Jeronimus zu uns kommt. Wenn ich ihm in die Augen sehe, erkenne ich vielleicht, was er im Sinn hat.«
Wiebe wandte sich wieder zu Pfarrer Bastians um. »Was ist, wenn wir gar kein Floß besitzen?«
Pfarrer Bastians wirkte verdutzt. »Oh, aber Jeronimus ist fest davon überzeugt«, erklärte er.
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»Sagt ihm, ich möchte mit ihm reden. Das wäre für den Moment alles.«
Pfarrer Bastians ergriff Wiebes Arm. »Bitte«, begann er erneut, »bitte fordert auch meine Freilassung als Teil Eures Handels! Ich fle he Euch an, im Namen des Herrn. Ihr wisst nicht, was ich ausgestanden habe.« Er brach erneut in Tränen aus. »Ihr wisst nicht, wie sehr ich gelitten habe«, schluchzte er.
Wiebe berührte ihn freundlich an der Schulter. »Geht jetzt, Pfarrer Bastians. Geht zu Jeronimus und richtet ihm aus, dass ich ihn sprechen möchte. Ich bin sehr gespannt, was er zu sagen hat.«
Er blickte hinter dem Pfarrer her. Danach wandte er sich zu
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