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Zorn der Meere

Zorn der Meere

Titel: Zorn der Meere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falconer,Colin
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dass die Frauen sich voneinander abkehrten, sich neue Gesichter aufzusetzen bemühten und neue Gesten einzuüben schienen, mit denen sie ihren Befreiern gegenübertreten wollten.
    Sie glauben, alles liege hinter ihnen, stellte Sussie verwundert fest. Sie wissen noch nicht, dass das Geschehene sie nie mehr loslassen wird, dass mit diesem Tag lediglich die neue Zeitrechnung ihrer Erinnerung beginnt.
    Francois betrat Lucretias Zelt.
    Lucretia nahm wahr, dass er ungesund aussah. Sein Gesicht war von seiner Krankheit gezeichnet, mit eingefallenen Wangen und tiefen, dunklen Rändern unter den Augen. Er wirkt wie jemand, bei dem man die erloschene Schönheit erkennt, dachte sie, und mit Bedauern feststellt, dass er sie aufgrund eines Schicksalsschlags verlor.
    Francois schwieg, während sein Blick über die Ausstattung ihres Zeltes wanderte.
    Lucretia glaubte, Verblüffung aus seiner Miene zu lesen, als er die vertrauten Gegenstände entdeckte - die Seidenbehänge, den kostbaren Teppich, die Karaffen, die Becher und die silbernen Leuchter. Nun, sagte sie bei sich, du solltest dich nicht wundern. Das ist immerhin ein Palast gewesen! Hier hat die Gemahlin des Teufels gewohnt.
    Francois räusperte sich. Er erhob seine Hände und öffnete und schloss sie mehrere Male, ehe sie wieder hilflos an seinen Seiten herunterfielen.
    Ich war mir sicher, dass er sich für diesen Augenblick eine Rede ausgedacht hat, stellte Lucretia fest. Doch offensichtlich hat er sie nicht sorgfältig genug geprobt.
    »Ich bin hier, um dich zu holen«, erklärte Francois schließlich.
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    Was soll ich darauf antworten? fragte sich Lucretia. Es würde Tage, nein, Wochen erfordern, bis sie ihm darlegen konnte, welche Folgen sein Verschwinden gehabt hatte.
    »Ich hatte keine Wahl«, fuhr Francois fort.
    Lucretia lächelte. Wie Deschamps, wie sie selbst, wie alle.
    »Sag doch etwas«, bat Francois leise.
    Lucretia schüttelte unmerklich den Kopf. Nein, beschloss sie, sie würde ihm keine Absolution erteilen. Sie würde ihn allerdings auch nicht schmähen oder ihm Vorwürfe machen. Das nutzte ohnehin nichts mehr. Francois musste ebenso wie sie -
    wie alle anderen - einen eigenen Weg finden, um mit der Wahl, die er getroffen hatte, zu leben.
    Seltsam, fuhr es Lucretia anschließend durch den Sinn. Wir hatten einmal so viel gemeinsam, doch nun verbindet uns lediglich noch die Scham angesichts unseres Handelns - und selbst darüber vermögen wir nicht zu reden.
    »Ich habe dich nicht vergessen«, murmelte Francois. »Ich tat nur, was ich tun musste. Es schien mir das Beste zu sein.«
    Ich bin gespannt, ob er dieselbe Entschuldigung auch von mir hinnimmt, wenn er erfährt, dass ich Jeronimus' Bettgefährtin war, überlegte Lucretia.
    Francois straffte die Schultern. »Ich muss dir etwas sagen, Lucretia. Es tut mir Leid, dass es eine schlechte Nachricht ist. Es handelt sich um deinen Mann.«
    Lucretia zwang sich, nicht laut loszulachen. Als ob es für sie noch schlechte Nachrichten gäbe!
    Wiebe erinnerte sich an Judith als zartes Mädchen, mit scheuem Blick und einer feinen, weißen Haut, die sich mit einem rosigen Hauch überzog, wenn sie lächelte. Sie war ihm stets wie etwas Kostbares vorgekommen, etwas viel zu Zerbrechliches für seine rauen, schwieligen Hände.
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    Wiebe versuchte, einen Überrest davon in der Frau, die reglos vor ihm hockte, zu entdecken, doch es gelang ihm nicht. Es war nicht allein Judiths Äußeres, das sich verändert hatte, nicht die von der Sonne gerötete Haut, das verfilzte Haar oder das zerschlissene Kleid, nein, es waren vorrangig ihre Augen. Sie hatten jegliches Leben verloren und blickten so starr ins Nichts wie die eines toten Fisches.
    Für Judiths Gesichtsausdruck fehlten Wiebe die Worte. Er wusste lediglich, dass er Ähnliches in seinem Leben noch nie gesehen hatte.
    »Judith«, flüsterte er. »Ich bin es. Wiebe Hayes.«
    Judith wandte ihren Kopf zu ihm um, doch ihre Miene blieb unverändert.
    »Oh, Judith«, stöhnte Wiebe. »Was haben diese Ungeheuer an dir verbrochen?«

    An Bord der Zandaam

    Am Abend wurde Jeronimus an Bord der Zandaam geschafft.
    Seine Augen waren blutunterlaufen, sein Gesicht von Schlägen gezeichnet, sein Haar hing ihm in wirren Strähnen auf die Schultern, sein Rock war verschmutzt - nichts erinnerte Francois mehr an die Erscheinung seines vormaligen Unterkaufmanns.
    Francois blickte ihn kopfschüttelnd an. Es fiel ihm noch immer schwer, die Geschichten zu glauben, die man ihm über

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