Zorn der Meere
vollstrecken am ersten Tag des Oktober. Der Ort der Vollstreckung sollte die Robbeninsel sein.
Die Strafen für Wouter Loos und einige andere wurden vorläufig ausgesetzt. Ihre Fälle plante Francois in Batavia vor den Richtern der Companie zu verhandeln.
An Bord der Zandaam
»Herr Pelsaert«, hub Wiebe an, »bei allem Respekt vor Eurer Kenntnis in Fragen des Rechts verstehe ich nicht, weshalb Ihr einige der Verbrecher mit nach Batavia nehmen wollt. Warum werden sie nicht hier hingerichtet, wie die anderen?«
Francois betrachtete Wiebe ein wenig verstimmt. In den vergangenen Tagen hatte er den Söldner schätzen gelernt, dennoch fand er, dass es diesem nicht zustand, seine Entscheidungen zu hinterfragen.
-484-
»Habt Ihr keine Sorge, dass sie sich abermals verschwören, nun, da wir das Silber und auch die - anderen Schätze geborgen haben?«
»Nein«, gab Francois zurück. »Nein, darum sorge ich mich nicht. Ich habe eine Truppe von dreißig Soldaten für die Bewachung der Fracht abgestellt, und es gibt keinen Jeronimus mehr, der die Gefangenen aufwiegeln kann. Er war ihr Kopf.
Ohne ihn werden sie nichts mehr unternehmen.«
»Ich bin nur ein einfacher Soldat, Herr Kommandeur, ich -«
»Ihr seid ein tapferer Mann, Wiebe Hayes. Die Companie wird sich Euch gegenüber erkenntlich zeigen, das verspreche ich.«
Wiebe schüttelte den Kopf. »Darum geht es mir nicht, ich wollte lediglich zu bedenken -«
»Ich verstehe Eure Bedenken«, unterbrach Francois ihn erneut, »und ich weiß sie zu würdigen. Dennoch steht mein Entschluss fest. Bitte, lasst mich nun allein, es sei denn, Ihr hättet noch etwas Dringliches auf dem Herzen.«
»Nein«, murmelte Wiebe. »Es gibt nichts Dringliches mehr.«
Er salutierte knapp und verschwand.
Francois stellte sich an die Reling und starrte zu den Inseln hinüber. Er ahnte, dass die Menschen dort dabei waren, ihm die Milde seiner Urteile vorzuwerfen. Den Grund würde wohl keiner von ihnen verstehen. Lediglich er, Francois, wusste, dass seine eigene Schuld ihn dazu bewegen hatte. Wäre er seiner Pflicht gefolgt und hätte bei den Schiffbrüchigen ausgeharrt, anstatt mit Jacobs zu flüchten, wären die grausamen Dinge niemals geschehen.
Auf der Robbeninsel
erster Tag des Oktober im Jähre des Herrn, 1629
-485-
Lucretia hatte sich genau wie die anderen eingefunden, um den Hinrichtungen beizuwohnen.
Stumm blickte sie auf die aneinander geketteten Verurteilten, die, laute Verwünschungen ausstoßend oder kläglich jammernd, aus den Booten ans Ufer und anschließend den Strand hinaufgetrieben wurden.
Jeronimus stand, umringt von Soldaten, vor dem Klotz, auf dem ihm die Hände abgeschlagen werden sollten.
Wie aus weiter Ferne hörte Lucretia ihn von seiner Phantomwelt reden, von seinem Königreich, dessen göttlicher Vorbote er war. Sie vernahm das Gelächter der Soldaten, als Jeronimus sich zu Gottes Sohn erklärte, der wie dieser am Kreuz starb, um Gottes Reich zu errichten.
Kurz darauf sah Lucretia Francois einem Soldaten ein Zeichen geben. Sie schloss die Augen.
Als Nächstes ertönte ein unheimlicher Schrei, der nicht aus einer menschlichen Kehle herzurühren schien, und dann wurde es still.
Lucretia vernahm das Gemurmel der anderen um sie herum.
Sie schlug die Augen auf.
Fassungslos auf seine blutenden Armstümpfe blickend, ließ sich Jeronimus zum Galgen führen. Als sich die Schlinge um seinen Hals legte, versuchte er, sich ihrer mit den Stümpfen zu erwehren, und als ihm das nicht gelang, zog er den Kopf ein, um sich zu befreien. Doch starke Arme hielten ihn fest, zurrten die Schlinge an und hievten ihn hoch. Für eine Weile zappelten noch seine Beine - dann war auch das vorüber.
Jeronimus' Mitverurteilte gingen dem Tod unterschiedlich entgegen. Die meisten von ihnen begegneten ihm mit Flüchen, andere, wie Mattys Beer, bekannten stammelnd ihre Schuld, erklärten ihre Reue und baten Gott um Vergebung für ihre Taten.
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Doch ganz gleich wie sie aus dem Leben schieden, ihr letzter Blick führte unweigerlich über die grauen Wellen hinweg zur Friedhofsinsel, wo zwischen den Felsen die kärglichen Paläste ihrer erloschenen Traumwelt zu sehen waren.
Jan Pelgrom kam als Letzter an die Reihe. Er schaffte es, sich von den Soldaten loszureißen und Francois vor die Füße zu werfen.
Francois sah, dass Schluchzer den schmächtigen Körper des Jungen erschütterten, und gebot den Wachen Einhalt.
»Was erscheint dir denn die gerechte Strafe für deine
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