Zorn der Meere
entgegnete Francois, indem er das Gerät am Ring hochhielt und an seinem Daumen pendeln ließ. »Schaut her - die Sonne steht zu meiner Linken. Ich halte das Gerät nun in die Sonne und bewege den Zeiger, bis sie durch diese beiden kleinen Löcher scheint -«
»Darf ich es einmal versuchen?«, unterbrach Lucretia ihn. Sie stand inzwischen dicht neben Francois und beugte sich vor.
»Was sind das für Striche am Rand?«
Francois holte abermals Luft. »Das sind die Winkel, die uns unsere Position nördlich oder südlich des Äquators angeben.«
In diesem Moment hob sich das Deck unter einer kräftigen Woge. Lucretia verlor den Halt und wurde gegen Francois geworfen.
Francois schlang automatisch den Arm um sie, und für einen kurzen Augenblick schmiegten sich ihre Körper aneinander.
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Dann löste Lucretia sich hastig von ihm. Auf ihren Wangen brannte feuerrote Flecke.
»Es tut mir Leid«, murmelte er. »Ich wollte nic ht - ich -«
»Ich danke Euch für den Anschauungsunterricht«, erwiderte Lucretia, indem sie sich fahrig eine Haarsträhne aus der Stirn strich, die der Wind ihr immer wieder in die Augen blies. Die Röte auf ihrem Gesicht hatte sich ausgedehnt und ergoss sich bis hin zu ihrem Dekollete.
Francois sah es und war unfähig, sich zu rühren. Er starrte sie an, als hätte ihn ein Blitzschlag getroffen.
»Ich glaube, ich muss gehen«, murmelte Lucretia. »Der Wind scheint heute ein wenig heftiger zu wehen als sonst.«
Francois schaffte es, sich stumm zu verneigen.
Nachdem Lucretia fort war, stellte er fest, dass seine Hände zitterten. Er schaute sich um, um zu prüfen, ob jemand Zeuge dieses Zwischenfalls geworden war. Als er zum Achterdeck emporspähte, stand dort noch immer der Kapitän, der nun spöttisch salutierte.
Adriaen Jacobs verharrte noch an der Reling, als der Kommandeur unter ihm längst verschwunden war. Um seine Lippen spielte ein verächtliches Lächeln. Bei Gott und allen Teufeln, dachte er, das war zum Brüllen! Dieses kleine, feine Bürschchen, das das Astrolabium wie ein Damentäschchen schlenkert, um sich vor dieser aufgeplusterten Gans aufzuspielen, die nicht einmal kapiert, wer ein richtiger Mann ist und wer nicht! Was musste der Kerl für einen Unsinn verzapft haben, als er mit käseweißem Gesicht einen endlosen Vortrag vom Stapel ließ.
Da hatte er die beiden also ertappt - Himmelherrgott, wie sie sich angeschmachtet hatten! Aber den Arm hatte der Hund doch potzblitz um sie gehabt, alle Achtung. Kleine Kostprobe geno mmen, wie? War auch zuerst gar nicht so abgeneigt gewesen, die Dame, aber dann plötzlich davongeflattert wie ein
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aufgescheuchtes Huhn. Und der Schafskopf starrte glotzäugig in die Runde, anstatt die Beine in die Hand zu nehmen und wie der Wind hinterher zu sein. Sicher, zuerst hätte sie sich ein wenig geziert, doch gleich darauf wäre diesem Herrn Leisetreter vermutlich Hören und Sehen vergangen.
Jacobs starrte nachdenklich vor sich hin. Na gut, sagte er sich zum Schluss, jetzt weiß ich, woran ich bin. Ihr Blicke haben niemals mir gegolten, sie hatte etwas Besseres im Sinn.
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IV
Ich muss Sie um Nachsicht bitten.
Es hat etwas länger gedauert, das Luder aufzuspüren.
Nein, ich rede nicht von Lucretia. Wo denken Sie hin?
Lucretia gehört zu den Frauen, die die Fantasie eines Mannes entzünden, ohne es zu wissen. Ich habe gegen die Art nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil, sie ist mir häufig dienlich.
Frauen wie Eva zählen ebenso dazu. Auch Eva hat ja nicht von sich aus gesündigt.
In der Regel muss man sich mit dem zufrieden geben, was man bekommt.
Und dann läuft einem plötzlich eine Frau wie Zwaantie Hendricks über den Weg. Die ist natürlich etwas anderes. Das ist ein Weibsbild nach meinem Geschmack.
Mit ihr werde ich mich zusammentun.
Siebzehn Grad und drei Minuten südlicher Breite elfter Tag des Februar im Jahre des Herrn, 1629
Da schau her, dachte der Kapitän. Madame Kommandeur mit ihrem Mädchen im Gefolge. Rauscht über Deck wie eine Königin. Nun, meine Schöne, hattet Ihr Gelegenheit, Euch Euren Kavalier ein wenig genauer anzusehen? Ist Euch nun klar geworden, dass dieser Jämmerling nichts taugt?
»Haltet Ihr etwa nach dem Kommandeur Ausschau?«, begrüßte Jacobs Lucretia. »In dem Fall werdet Ihr enttäuscht sein, denn er fühlt sich nicht wohl. Er ruht in seiner Kajüte.«
Lucretia wurde blass.
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»Kein Grund, sich Sorgen zu machen«, versicherte Jacobs ihr.
»Ich bin der Herr auf diesem
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