Zorn der Meere
Ecke gepisst«, kicherte er.
»Du sollst dich zurückhalten, habe ich gesagt!«, fuhr Wiebe ihn an. Gleich darauf zog der Geruch frischen Urins an seiner Nase vorbei. »Das ist zum Kotzen«, erklärte er und klappte sein Spielbrett zu.
»Das sage ich doch die ganze Zeit«, erwiderte Zany.
»Sieh dich trotzdem vor«, ermahnte Wiebe ihn. »Ich muss an Deck - meine Wache beginnt.«
»Sieh du dich lieber vor!« Zany lachte hinter ihm her. »An Bord wird nicht gehurt, und die Pfarrerstochter hat es faustdick hinter den Ohren!«
Sussie Frederix und ihre Schwester Tryntgen hatten es sich auf dem Quarterdeck unter ihren Sonnensegeln bequem gemacht, wo sie, über ihre Näharbeiten gebeugt, dem Geplapper der anderen Frauen lauschten. Aus den Augenwinkeln wurde Sussie indes gewahr, dass der gut aussehende weizenblonde Soldat über ihr das Deck betrat. Wiebe hieß er, Wiebe Hayes, so viel hatte sie inzwische n von Tryntgens Mann herausbekommen, der zu den Soldaten auf dem Orlopdeck gehörte. Von ihm hatte sie auch erfahren, dass dieser Wiebe Hayes mit seinen fünfundzwanzig Jahren noch immer unverheiratet war. Sussie selbst war zwar erst fünfzehn, doch wie sie fand, war das nicht ausschlaggebend. Sie beide würden ein hübsches Paar abgeben - vorausgesetzt, er schaute überhaupt erst einmal zu ihr hin.
Sussie rutschte unter dem Sonnensegel hervor und schielte nach oben.
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Nicht schon wieder! dachte sie. Er soll nicht schon wieder Judith schöne Augen machen. Auf dem ganzen Schiff sprach man bereits davon.
Sussie beobachtete, wie Wiebe sich näher zu Judith an die Reling schob und ihr etwas zuflüsterte. Gott sei Dank war der Herr Pfarrer nicht säumig, sondern bedeutete seiner Frau mit einem ungehaltenen Wink, ihre Tochter zu sich zu rufen.
Warum ausgerechnet Judith? fragte Sussie sich. Was erwartete dieser große, kräftige Kerl von einem Mädchen, das sein Haar züchtig unter der Haube verbarg und errötend zu Boden blickte, wenn er mit ihm sprach?
Na bitte, dachte Sussie. Geschieht ihm recht. Judith hatte sich abgewandt und Wiebe verlassen, noch ehe ihre Mutter Gelegenheit hatte, sie von ihm fortzuzerren.
Na, Herr Soldat, dachte Sussie, war das nun der Mühe wert?
Oder solltet Ihr nicht allmählich anfangen zu begreifen, dass es hier auch noch andere Mädchen gibt? Sie legte ihre Näharbeit ab und murmelte ihrer Schwester zu, sie wolle sich ein wenig die Beine vertreten.
Tryntgen musterte Sussie argwöhnisch, doch sie nickte und sagte nichts.
Als Sussie an die Reling trat, stellte sie fest, dass Wiebe seinen Blick sehnsüchtig auf den dunstigen Horizont geheftet hatte, als suche er dort etwas, das es gar nicht gab. Unauffällig schob sie sich bis zu dem Platz, den Judith gerade verlassen hatte. Da bin ich, dachte sie dann, worauf wartest du also noch?
Eine bessere Gelegenheit kann sich doch gar nicht mehr bieten.
Als Wiebe sie nicht zu bemerken schien, wurde Sussie ungeduldig.
»Schlagt Euch Judith aus dem Kopf«, sagte sie leise.
Wiebe drehte sich zu ihr um.
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Er wirkte belustigt, als er erkannte, dass da ein Mädchen - fast noch ein Kind - bei ihm stand und ihm offenkundig Ratschläge erteilte.
Sussie erriet, was er dachte. Ich bin älter, als du glaubst, entgegnete sie stumm. Ich bin schon so gut wie erwachsen.»Entschuldigt, mein Fräulein, ich glaube, ich habe den Sinn Eurer Worte nicht recht verstanden. Ihr hattet doch etwas gesagt, oder nicht?«
»Ja, ich sagte, dass Ihr Euch Judith aus dem Kopf schlagen sollt.«
»Oh, und warum wohl?«, sagte Wiebe schmunzelnd.
»Weil sie ihr Augenmerk auf den Jonker dort drüben gerichtet hat«, erwiderte Sussie. Sie deutete auf van Huyssen, der mit seinen Kameraden auf dem Deck einherschritt.
»Und woher weiß das ein so kleiner Fratz wie Ihr?«
Sussie runzelte die Stirn. »Ich bin fast so alt wie Judith«, erwiderte sie.
»Sieh einer an«, bemerkte Wiebe, indem er begann, sich seine Pfeife zu stopfen. »Und ich dachte schon, es läge an Judiths Papa. Die Männer Gottes halten nämlich nichts von Soldaten.«
Er grinste schräg und setzte augenzwinkernd hinzu: »Ich fürchte nur, umgekehrt liegt die Sache nicht viel anders.«
Sussie musste kichern. »Wart Ihr schon einmal in Batavia?«, erkundigte sie sich anschließend. »Ist es dort schön?«
»Ja, ich war bereits einmal dort. Vor fünf Jahren. Ob es an einem Ort schön ist, dürft Ihr einen Soldaten jedoch nie fragen.
Wir kennen die Länder ja meist nur aus dem Krieg. Allerdings wäre ich
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