Zorn der Meere
geworden waren, doch gleich darauf wurde ihr bewusst, dass er vor Angst schier außer sich war.
Jeronimus erhob sich und machte ein paar zaghafte Schritte auf sein Lager zu. Dort ließ er sich mit einem Aufstöhnen niedersinken.
Mit einem matten Winken bat er Lucretia zu sich heran.
»Womit kann ich Euch dienen?«, flüsterte er.
»Es geht um meine Dienstmagd«, erklärte Lucretia.
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»Ich verstehe«, erwiderte Jeronimus leidend. »Ihr wollt Euch über Zwaantie Hendricks beschweren.«
»Jemand muss mit ihr reden, Herr Unterkaufmann«, betonte Lucretia.
Über ihnen schlug eine Woge mit lautem Klatschen zusammen.
Jeronimus wurde bleich und rang nach Luft.
»Glaubt Ihr, das sei der richtige Augenblick, um sich über eine Dienstmagd zu unterhalten?«
»Der Sturm wird sich verziehen«, versetzte Lucretia scharf,
»Zwaanties Treiben hingegen setzt sich fort.«
»Und was soll ich Eurer Meinung nach tun?«
»Ihr Einhalt gebieten. Ihr seid doch gewiss nicht blind und habt wie alle anderen mitbekommen, dass sie sich sittenlos aufführt.«
»Müsste in diesem Fall nicht der Marschall die übliche Strafe verhängen?«
»Vielleicht lässt sich das vermeiden, wenn Ihr ihr ins Gewissen redet.«
Von einem Augenblick zum anderen erlosch der gehetzte Ausdruck auf Jeronimus' Gesicht. Er lehnte sich zurück und spitzte vergnügt die Lippen. »Habt Ihr die Sache schon dem Kommandeur vorgetragen?«, fragte er. »Ihr steht Euch doch so gut mit ihm.«
Was nahm dieser Mensch - dieser Feigling, dieser Jammerlappen - sich heraus? dachte Lucretia. Wie konnte er ihr gegenüber derart unverblümt Anspielungen wagen?
»Bisher hatte ich leider keine Gelegenheit dazu«, erklärte sie kalt.
Jeronimus lächelte genießerisch. »Dann macht Euch bitte keine Sorgen mehr, Madame«, bemerkte er. »Für Euch tue ich schlichtweg alles.«
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Lucretia starrte ihn sprachlos an.
Sein Lächeln erstarb, als sich die nächsten Wogen gegen die Schiffswände warfen und der Boden der Kabine bebte.
»Gehabt Euch wohl, Herr Unterkaufmann«, bemerkte Lucretia spöttisch. »Und sobald Ihr Euch wieder erholt habt, denkt bitte an Eure Pflicht.«
Anschließend machte sie kehrt und kämpfte sich über den schlingernden Gang zu ihrer Kabine zurück.
Vierzig Grad und drei Minuten südlicher Breite fünfundzwanzigster Tag des April im Jahre des Herrn, 1629
Jeronimus lag auf seinem Lager ausgestreckt und überdachte seine Pläne. Welches Entzücken es mir bereitet, mit anzusehen, wie andere hilflos im Strudel ihrer Leidenschaften treiben, fuhr es ihm durch den Sinn. Mein Genuss übertrifft tatsächlich noch jede Form des fleischlichen Vergnügens. Er entsann sich, dass er in der Tafelbucht kurz davor gewesen war, den Kapitän allzu heftig zu bedrängen. Das war hastig und unüberlegt gewesen, tadelte er sich. Besser ließ man sein Opfer schmoren und wartete, bis sich ein günstiger Moment auftat.
Es gab Menschen, sinnierte Jeronimus, bei denen die Zeit ihre Wunden heilte, doch Adriaen Jacobs gehörte nicht dazu. Er zählte zu jenen, deren Wunden schwärten und immer wieder aufbrachen, wenn man sie reizte.
In der vergangenen Nacht war der Kapitän besonders schlecht gelaunt gewesen. Wie ein wütender Bulle war er über das Deck gestapft, hatte Befehle gebrüllt und seinen Leuten wegen Nichtigkeiten die Peitsche übergezogen. Vermutlich würde er sich zusammenreißen, sobald der Kommandeur wieder in der Nähe war, doch dieser befand sich unglücklicherweise in seiner Kajüte und litt.
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Der Herr ist mit den Seinen, dachte Jeronimus wohlig schaudernd. Er weist mir den Weg in mein Königreich.
An jenem Abend war der Himmel klar. Eine schmale Mondsichel hing über dem dunklen Horizont im Osten. Das Kap der Guten Hoffnung lag nun bereits seit fünf Tagen hinter der Batavia.
Der Skipper stank nach Schnaps und nach Zwaanties billigem Duftwasser.
Jeronimus rümpfte die Nase.
»Noch immer nichts von der Buren in Sicht?«, fragte er leutselig.
»Nein«, erwiderte der Skipper barsch. »Der Sturm hat uns auseinander gerissen.«
Ein bedauerliches Missgeschick, dachte Jeronimus frohlockend. Auch von den anderen Schiffen war schon seit geraumer Zeit nichts mehr zu sehen. Er begriff nicht, dass einem erfahrenen Navigator die Begleitschiffe verloren gehen konnten.
Ohne die Kanonen der Buren war die Batavia fast schutzlos feindlichen Schiffen ausgeliefert. Ob das bereits Gottes Zeichen für ihn war, das Schicksal nun selbst in die Hand zu
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