Zorn der Meere
nehmen?
»Wisst Ihr, wie es um den Kommandeur bestellt ist?«
»Interessiert mich nicht.«
»Der Arzt behauptet, sein Zustand verschlechtere sich. Er fürchtet um Pelsaerts Leben.«
In das entstehende Schweigen drang das rhythmische Klatschen der Wellen, die sich am Rumpf des Schiffes brachen.
Jeronimus studierte Jacobs' Gesicht.
»Wenn er stirbt, werdet Ihr das Kommando übernehmen«, bemerkte der Kapitän.
»So wird es sein.«
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»Das wäre doch eine Ehre für Euch, oder nicht? Die Batavia hat überaus wertvolle Fracht an Bord.«
»Das würde für uns beide eine große Verantwortung bedeuten«, hob Jeronimus hervor. »Wie viel zahlt man Euch eigentlich für Eure Dienste? Fünfzig, achtzig Gulden?«
»Ein Einkommen lässt sich verbessern«, brummte der Kapitän.
»Mit Geschäften, die unter der Hand vonstatten gehen?«
»Darüber redet man nicht.«
»Es ist trotzdem kein Geheimnis geblieben. Das war doch der Anlass Eures Streits mit dem Kommandeur, wenn mich nicht alles trügt.«
Der Kapitän nickte widerstrebend. »Dabei ist der Bastard selbst keinen Deut besser«, knurrte er. »Er verhökert mehr als ich.«
»Wusstet Ihr, dass er dieses Mal für Rubens eine Brosche und andere kostbare Stücke aus dessen Sammlung transportiert? Das bringt eine ganz schöne Kommission, glaubt Ihr nicht?«
»Wir werden eben mit zweierlei Maß gemessen«, erwiderte der Kapitän.
»Das ließe sich ändern.«
Jeronimus beobachtete Jacobs' Miene äußerst gespannt. Dann spähte er um sich. Sie waren allein.
»Bezieht Ihr Euch auf etwas Bestimmtes?«
»Schon möglich«, entgegnete Jeronimus vorsichtig. »Wenn der Kommandeur stirbt, hätten wir beide Gelegenheit, ein Vermögen zumachen.«
»Das sind gefähr liche Überlegungen, Herr Unterkaufmann.«
»Wollt Ihr behaupten, sie wären Euch noch nicht gekommen?«
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»Warum druckst Ihr um die Sache herum? Was schlagt Ihr vor?«
»Zuerst will ich wissen, ob wir einer Meinung sind.«
»Dazu müsstet Ihr erst einmal Eure Absichten darlegen.«
»Dargelegte Absichten kosten bisweilen den Hals.«
»Nun redet schon! Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass ich Euren Hals Pelsaert ausliefere!«
Jeronimus rückte näher. »Sollten wir Batavia nicht erreichen«, begann er flüsternd, »würde man dort annehmen, wir wären gesunken. Zusammen mit zwölf Kisten Dukaten. Das ist aber noch nicht alles, denn wir könnten noch reicher werden. Wir haben genug Gewehre an Bord, um andere Schiffe zu kapern. Es würde eine Weile dauern, bis man in Java dahinter käme, von Amsterdam ganz zu schweigen.«
»Nanu!«, spöttelte der Kapitän. »Wer hätte gedacht, dass in Euch ein verkappter Pirat steckt.«
»Ha!«, lachte Jeronimus auf. »Was glaubt Ihr denn, was die Kaufleute der Gesellschaft sind? Sie besitzen lediglich den Segen der Kirche für ihr Tun. Außerdem stört es sie nicht, wenn wir Engländer und Portugiesen ermorden. Der Handel wurde schon immer mit Waffen ausgetragen; das ist ein Krieg wie jeder andere auch.«Der Kapitän war Jeronimus' Worten aufmerksam gefolgt. Nun schüttelte er langsam den Kopf. »Das ist ein dicker Brocken«, erklärte er. »Das müsste man sich sorgfältig durch den Kopf gehen lassen.«
»Reichen zwei Tage dafür?«, fragte Jeronimus verständnisvoll. »Das ist in etwa die Frist, die der Arzt Pelsaert noch lässt. Sobald er in seinem Seemannsgrab ruht, wäre ich der Kommandeur. Dann will ich natürlich gern wissen, wer zu mir hält und wer nicht. Das ist doch zu verstehen, findet Ihr nicht?«
Sussie hatte sich im Schatten ihres Sonnenschutzes zurückgelehnt und träumte vor sich hin. Immer wieder wurden
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ihre Gedanken jedoch von dem Geplapper der anderen Frauen abgelenkt.
Sussie wünschte sich, sie würden schweigen, wünschte sich, auf festem Boden zu stehen, wünschte sich, in den Armen eines ganz bestimmten Mannes zu liegen...
»Habt Ihr schon gehört, wie häufig Frau van der Mylen die Kajüte des Kommandeurs besucht?«
Sussie erkannte die Stimme von Annie Janz.
Sie blickte zu ihr hin und sah, dass ihre Augen funkelten.
»Woher will sie das wissen?«, erkundigte sie sich flüsternd bei Tryntgen, die ihr jedoch mit einem ungeduldigen Wink zu schweigen gebot.
»Ich denke, der Kommandeur leidet an einem Fieber«, ergriff Tryntgen nun das Wort.
»Genau«, kicherte Annie. Danach wurde sie wieder ernst. »Er wurde schon etliche Male zur Ader gelassen. Trotzdem ist es nicht recht, dass sie bei ihm ist. Sie ist doch eine
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