Zorn der Meere
verdrossen.
-105-
»Sie behandelt mich wie eine Sklavin«, maulte Zwaantie.
»Na und?«
»Sie droht damit, mich öffentlich auspeitschen zu lassen, und zuvor will sie sich beim Kommandeur über uns beschweren.«
Jacobs' Mundwinkel zuckten unwillkürlich. Da schau an, dachte er, selbst für jemanden wie Zwaantie scheint es Grenzen des Schmerzes zu geben.
»Tröste dich«, beschwichtigte er sie. »Der feine Kavalier tut dir nichts zu Leide. Er ist krank.«
»Er wird auch wieder gesund.«
»Na, komm schon, Zwaantie«, ermunterte der Kapitän sie, indem er sie an sich zog. »Mach nicht solch ein böses Gesicht!
Niemand legt Hand an dich, solange ich hier das Sagen habe, und erst recht nicht Madame Hochnäsig.«
Auf der Suche nach Francois kam Lucretia an der Offiziersmesse vorbei, wo sie dem Bordarzt Aris Janz und Jeronimus begegnete. Die beiden unterhielten sich leise und schienen ebenfalls auf dem Weg zur Kajüte des Kommandeurs zu sein. Bei Lucretias Anblick verstummten sie und tauschten seltsame Blicke.
»Was ist geschehen?«, wollte Lucretia wissen.
»Oh, nichts«, begann Jeronimus, »wir -«
»Ich will zum Kommandeur«, fiel Lucretia ihm ins Wort. »Ich muss ihn dringend sprechen.«
»Das wird nicht möglich sein«, erwiderte Janz.
»Und warum nicht?«, rief Lucretia ungeduldig.
Der Arzt wechselte abermals einen Blick mit Jeronimus, ehe er erklärte: »Der Kommandeur leidet an seinem Fieber, Madame. Das ist eine Krankheit, die er aus Indien mitgebracht hat. Sie überfällt ihn in gewissen Abständen.«
»Bedeutet sie denn etwas Ernstes?«, fragte Lucretia.
-106-
Als der Arzt ihr die Antwort schuldig blieb, erschrak Lucretia.
Demnach ist sie ernst, dachte sie und begann, sich umgehend Vorwürfe zu machen. Das ist meine Schuld, sagte sie sich. Ich habe seine Leidenschaft entfacht, und deshalb ist seine Krankheit wieder ausgebrochen. Dies ist gewiss ein Zeichen von Gott, der uns bestrafen will.
»Kann ich zu ihm?«, erkundigte sich Lucretia und redete sich bereits ein, Gott könne sich in Ausnahmefällen durchaus auch als nachgiebig erweisen.
Der Arzt schien zu zögern. »Madame«, mahnte er. »Bitte bedenkt, was Ihr tut. Ihr könnt ihm nicht helfen.«
Lucretia richtete den Kopf trotzig in die Höhe. »Ich will ihn dennoch sehen«, beharrte sie.
Janz hob ergeben die Schultern und nickte.
Es war das erste Mal, dass Lucretia Francois' Kajüte betrat.
Die dunklen, holzverkleideten Wände waren in ein sanftes, gedämpftes Licht getaucht, so dass Lucretia als Erstes die leuchtende rotgoldene Brokatdecke auffiel, die über Francois gebreitet war. Mit einem Aufschrei war sie an seiner Seite.
Francois starrte sie mit fiebrig glänzenden Augen an, schien sie jedoch nicht zu erkennen.
Bestürzt stellte Lucretia fest, dass er vor Kälte zu zittern schien, wohingegen sich an seinen Schläfen Schweißperlen bildeten.
»Ich werde ihn noch einmal zur Ader lassen müssen«, hörte Lucretia den Arzt hinter sich sagen.
Etwas anderes fällt ihnen offenbar nie ein, dachte sie.
»Danach werde ich ihn mit einem Kräutertrank stärken«, fuhr der Arzt fort, als hätte er ihre Gedanken erraten. »Doch nachdem das getan ist, müssen wir für ihn beten.«
-107-
Der Sturm, der sich zusammengebraut hatte, schäumte die Wellen auf und jagte Gischtfontänen über den Bug, die sich mit den tosenden Regenfluten vermischten.
Oben auf dem Quarterdeck wurde das Toben und Heulen des Windes und das Ächzen der Holzplanken von den gebrüllten Befehlen des Kapitäns durchsetzt.
Lucretia griff Halt suchend nach den Wänden des langen Ganges, während der Boden unter ihr schwankte und sie von einer Seite auf die andere geworfen wurde.
Sie war auf dem Weg zu Jeronimus, der den Kommandeur während dessen Krankheit vertrat.
Als sie vor seiner Tür angelangt war, klopfte Lucretia und glaubte eine schwache Antwort zu vernehmen.
Sie öffnete die Tür und erblickte Jeronimus, der starr wie eine Statue in seinem Sessel saß, dabei jedoch lautlos vor sich hin zu murmeln schien.
Lucretia sah ihn verblüfft an. Sie hatte den Eindruck, als sei ihm gar nicht bewusst, dass sie bei ihm eingetreten war, geschweige denn, dass sie etwas von ihm wollte. Als sie ihn genauer betrachtete, bemerkte sie den glänzenden Schweiß auf seiner Oberlippe und Stirn und stellte fest, dass sein Blick flackernd mal hierhin, mal dorthin huschte.
Für einen Moment nahm Lucretia an, der Unterkaufmann zähle zu den Elenden, die abermals seekrank
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