Zorn der Meere
loderte ein unheimliches Feuer. Gott im Himmel, dachte Francois, zu welchem Zweck will Jacobs ausgerechnet diesen Mann bei sich haben? Everts erinnerte ihn an einen Bettler in Amsterdam, in dessen Blick sich Wahn und Hass auf die gleiche tückische Weise verbanden.
»Wo steckt Jeronimus?«, erkundigte sich Francois.
»Weiß der Henker«, erwiderte Jacobs. »Ich hoffe, der Teufel hat seinen Spießgesellen zu sich geholt.« Er spuckte aus.
»Vielleicht erklärt Ihr mir bei Gelegenheit, was Ihr damit meint«, bemerkte Francois.
Dank der Messungen mit dem Lot wussten sie, dass sie mit einsetzender Ebbe aufgelaufen waren. Die Hoffnung des Kapitäns, sie hätten das Riff mit beginnender Flut gerammt und würden später von den steigenden Wogen angehoben und fortgeschwemmt, hatte sich damit zerschlagen. Selbst das Abwerfen der schweren Kanonen hatte nichts genutzt. Wie auch, dachte
Francois, wo sich doch Tonnen an Gestein im Frachtraum befinden, die für die Hafenpforte der Festung von Batavia vorgesehen sind.
Abermals donnerte eine riesige Woge gegen den Rumpf. Die Batavia beugte sich ihrem Druck, rutschte vor und schrammte zurück.
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Francois schrak aus seinen Gedanken auf und fragte sich, ob die Wucht der Wellen bei dieser Schräglage nicht zuletzt den Großmast durch den Boden des Schiffes treiben würde.
»Wir müssen den Großmast kappen«, verkündete der Skipper, wie um ihm eine Antwort zu geben.
»Wie denkt Ihr Euch das?«, wollte Francois wissen. Er musste an sich halten, damit seine Stimme ruhig und sachlich klang.
»Wie sollen wir ohne Großmast Batavia erreichen?«
»Das lasst meine Sorge sein.«
»Wie bitte?« Francois konnte sich nicht länger beherrschen und sprang auf. »Eurer Sorge unterstand es, uns sicher über das Meer zu navigieren. Und nun seht Ihr, was daraus geworden ist!
Ich hoffe, Euch ist klar, dass das eine Beschwerde meinerseits nach sich zieht! Die Gesellschaft -«
»Die Gesellschaft, die Gesellschaft!«, höhnte Jacobs. »Die Gesellschaft interessiert mich einen Dreck. Überlegt Euch lieber, wie wir noch mehr an Gewicht loswerden, sonst könnt Ihr Euch unten bei den Fischen beschweren.«
»Jacobs hat Recht«, schaltete Gerritz sich ein. »Wir müssen den Großmast schlagen. Er spaltet uns sonst den Boden entzwei.«
Als Jacobs wenig später mit einer gewaltigen Axt in der Hand das Quarterdeck überquerte, lief ein Stöhnen durch die Reihen der Passagiere und Matrosen. Wenn sie es zuvor noch nic ht erfasst hatten, so wurde ihnen spätestens in diesem Moment bewusst, in welch verzweifelter Lage sie sich befanden.
Francois schaute mit finsterer Miene zu, wie Jacobs die Axt schwang. Ich hätte den Kerl in der Tafelbucht fertig machen sollen, fuhr ihm durch den Sinn. Meine Nachsicht war ein Fehler, denn sie hat ihn lediglich rachsüchtig gemacht, und zum Schluss lag ihm seine Vergeltung mehr am Herzen als seine Pflicht als Kapitän.
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Francois konnte das Schauspiel nicht länger ertragen und wandte sich ab. Ich wünschte, ich könnte beten, dachte er unter dem Lärm der Schläge und des splitternden Holzes, doch mir fallen die notwendigen Worte nicht mehr ein. In meinem Kopf rauscht es nur. Im Grunde möchte ich fluchen, mit Gott hadern und ihm befehlen, die Zeit zurückzudrehen, damit ich meinen Verstand ordentlich einsetzen und Jacobs zum Teufel jagen kann.
Ein schauriges Ächzen rüttelte Francois aus seinen Gedanken auf. Er blickte in die Höhe. Der Großmast begann zu kippen.
In diesem Augenblick schob sich jedoch die nächste Woge unter den Bug und hob die Batavia an. Francois sog scharf die Luft ein. Wie durch einen Nebelschleier sah er das Unheil kommen. Dann hörte er Leinwand reißen, nahm aufsprühende Splitter und Späne wahr und schrie laut mit den anderen auf.
Anstatt vorwärts ins Meer zu stürzen, hatte der Großmast sich gedreht und nach hinten geneigt. Für einen Moment schien er unschlüssig zu schweben, doch dann schmetterte er mitten in die Takelage des Vormastes hinein, nahm dessen Stamm, Rahen und Taue mit und brach schließlich donnernd auf das Deck.
Die Batavia bewegte sich ächzend vor und zurück.
Jacobs beorderte brüllend seine Männer zu sich. Mit vereinten Kräften versuchten sie, die ineinander verkeilten Masten mitsamt ihrem Beiwerk zu heben, doch sie schafften es nicht.
»Könnt Ihr denn gar nichts mehr richtig machen?«, schrie Francois dem Kapitän zu.
Jacobs drehte sich um und warf ihm einen Blick zu, in dem sich
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