Zorn des Loewen
zu schaffen. Er würde ihn gern hängen sehen und hätte dabei sicher ein reines Gewissen.«
»Und was denkst du selbst?«
»Von de Beaumont?« Guyon zögerte einen Moment. »Er ist sicherlich ein gefährlicher Mann. Kein Dummkopf. Ein ganzes Jahr lang hat er die militärische Aufklärungsabteilung in Algerien befehligt, aber er hatte sich mit den hohen Tieren immer in den Haaren. Seine Auffassung vom Krieg war dieselbe wie die der Kommunisten – ein Krieg muß gewonnen werden –, und er glaubte, daß der Ausgang jedes Mittel rechtfertigt. Das war etwas, das ihm die ›boidois‹ in den vietnamesischen Lagern eingeprügelt hatten.« Guyon schaute Mallory kurz lächelnd an. »Dies wenigstens, glaube ich, hast du mit ihm gemein. Legrande erzählte mir, daß auch du eine Zeitlang hinter kommunistischem Stacheldraht warst.«
»Deine Berichte lassen ihn sehr interessant erscheinen«, meinte Mallory. »Ich würde ihn gern mal kennenlernen. Ich habe das Gefühl, daß ich dann die Erklärungen erhalte, auf die ich aus bin.«
»Sehr wahrscheinlich.« Guyon leerte sein Glas. »Kann ich sonst noch irgend etwas tun?«
»Was ist mit dieser Französin, Juliette Vincente, die im Hotel
lebt? Unserer Auffassung nach scheint sie harmlos zu sein. Was sagt man bei euch?«
»In unserem vorbereitenden Bericht stand nichts Außergewöhnliches. Ihren Eltern gehört ein kleiner Bauernhof in der Normandie. Ein Bruder wurde während seiner Militärzeit in Algerien getötet. Sie hat sechs Monate in einem Hotel in St. Malo gearbeitet, bevor sie hierherkam.«
Mallory nickte zustimmend. »Hört sich gut an. Trotzdem solltest du die normale Routineuntersuchung deines Zimmers vornehmen, um sicherzugehen, daß es nicht durchsucht worden ist.«
Guyon setzte sich die Sonnenbrille auf und erhob sich. »Ich gehe mich umziehen. Wir treffen uns in etwa einer halben Stunde, um uns das Riff anzuschauen.« Er hielt unter der Tür kurz an und streckte seine Glieder. »Es ist wirklich ein herrlicher Tag. Ich freue mich schon drauf.«
Nachdem er gegangen war, saß Mallory noch eine Weile auf der Bettkante und rief sich noch einmal alle Dinge ins Gedächtnis, um vielleicht das, was geschehen könnte, vorauszusehen, aber er wußte, es war vertane Zeit.
Wenn es eine Lektion gab, die er vor allem gelernt hatte, dann war es die, daß bei diesem Spiel absolut nichts als sicher gelten konnte. Der Zufall beherrschte jeden Zug. Er öffnete eines der Schließfächer, holte ein Tauchgerät heraus und begann es eingehend zu prüfen.
7
Auf dem Riff
Mallory ließ sich über die Reling in das durchsichtige Wasser fallen, verweilte einen Augenblick, um die Luftzufuhr seines Atemgerätes zu regulieren und tauchte hinunter in einem langgezogenen Bogen, bis er unter dem Boden der Foxhunter auf Fiona Grant traf, die in ihrem gelben Tauchanzug wie eine exotische Blume neben der Ankerkette schwebte. Kurz darauf erschien Anne in einer Wolke aus Luftblasen.
Fiona tauchte an der Ankerkette hinab in den blauen Dunst, Mallory und Anne folgten ihr.
Sie befanden sich ungefähr hundert Meter vor der Küste am südlichen Rand der Insel. Das Wasser war vom Sonnenlicht durchdrungen, so daß sogar auf dem Meeresgrund in zwölf Meter Tiefe die Sichtverhältnisse ausgezeichnet waren.
Weit ausgedehnte Tangwälder von zwei Meter Höhe bedeckten den Meeresboden. Sie wogten rhythmisch mit jeder Wasserbewegung und wechselten dabei ihre Farben, als wären sie Lebewesen. Fiona schwamm mitten hinein und scheuchte ein paar Fische auf. Mallory hielt inne und blieb schwebend über der wogenden Pflanzenmasse stehen. Anne tippte ihm auf die Schulter und schwamm davon.
Sie paddelten über einen großen, schwarzen Felsrücken. Einige Meter rechts von ihnen schimmerte aus dem Schatten eine guterhaltene Mauer mit einem normannischen Bogenfenster. Mühelos schwamm Anne hindurch. Mallory folgte ihr.
Es war klar zu erkennen, daß nur die starken Gezeitenströmungen auf dieser Seite der Insel ein vollständiges Versanden des Gebäudes schon vor Jahrhunderten verhindert hatten. Es besaß kein Dach mehr, und die Wände waren bis auf einen Meter eingestürzt. Dahinter lagen wieder große Tangwälder. Abgebrochene Wandreste und durcheinandergewürfelte Blöcke bearbeiteten Mauerwerks lagen zu allen Seiten verstreut.
Fiona erschien aus dem Dunkel und schwamm auf die beiden zu. Sie schwebte in kurzer Entfernung vor ihnen, steckte die rechte Hand in einen
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