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Zorn des Loewen

Zorn des Loewen

Titel: Zorn des Loewen
Autoren: Jack Higgins
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ich sehe keine Anlegestelle.«
    »Die liegt unter der Insel. Wenn Sie ganz genau über die letzte Reihe der Felsen hinwegschauen, können Sie den Eingang in den Klippen erkennen. Bei Flut beträgt die lichte Höhe zwischen Wasserspiegel und Felsendecke nur drei bis vier Meter.«
      »Demnach ist das Wasser drinnen ziemlich tief?« fragte er so nebenbei.
      Sie nickte. »Selbst bei Niedrigwasser sind es gute achtzehn Meter. Es gibt eine Falte im Meeresboden, die das Riff in der Mitte spaltet. Diese Falte verläuft direkt unter St. Pierre hindurch.«
    »Ist das die berüchtigte Mittlere Passage?«
    »Genau. Und die lohnt es sich anzuschauen.«
      Sie klemmte sich das Gummimundstück zwischen die Zähne, zog sich die Maske über das Gesicht und glitt wieder ins Wasser hinab. Die Sichtverhältnisse waren immer noch gut, und Mallory konnte deutlich das Felsenmeer des Riffs in fünf, sechs Meter Tiefe unter sich erkennen. Da senkte Anne unvermittelt ihr Aquamobil über eine Granitplatte und ließ sich in die unendliche Tiefe ziehen.
      Sie tauchte durch einen trüben Felstunnel. Das Sonnenlicht fiel schräg durch Felsspalten und -risse in flimmernden Lichtbändern. An manchen Stellen erinnerte die Passage an das Schiff einer gewaltigen Kirche, der Fels türmte sich hoch auf und wölbte sich an beiden Enden zu einem Dach. Dann hellte das Dunkel auf, und sie gelangten in einen Abschnitt, der zur See hin offen war.
      Anne befand sich etwa zehn Meter vor ihm. Sie stoppte ab, um auf Mallory zu warten. Als er bei ihr war, hechtete sie abwärts. Er folgte ihr. Die rote Spitze seines Aquamobils teilte das Wasser, und Fische stoben auseinander. In achtzehn Meter Tiefe gelangte er in ein geheimnisvolles, grünlich schimmerndes Halbdunkel, in dem die Sicht beträchtlich eingeschränkt war.
    Tief unter ihm hatte Anne angehalten und schwebte über einer Felsbank. Als er sie erreicht hatte, sah er zu seinem großen Erstaunen einen Bedford Drei-Tonner Lastwagen, der, in einer Felsspalte eingeklemmt, auf der Seite lag. Die Abdeckplane war wohl schon vor langer Zeit verrottet. Er näherte sich und erkannte jetzt den weißen Stern, der auf alle alliierten Fahrzeuge gemalt worden war, die am D-Day und später benutzt wurden.
      Sie wandten sich ab, und einen Augenblick später sahen sie das Heck eines Schiffes aus dem Dunkel hervorragen. Die Geländer und das Gestänge waren mit Girlanden aus seltsamen Unterwasserpflanzen geschmückt. Er folgte dem abgerundeten Schiffsrumpf, und ein ausgefranstes Loch, das von einem Torpedoeinschlag herrührte, gähnte ihn aus dem Dunkel an. Darunter lag, in einen tiefen Spalt gekippt, ein Churchill-Panzer; dahinter erkannte man die Umrisse von Lastwagen. Ein einsames Geschützrohr lugte schräg zur Oberfläche hervor.
      Mallory folgte Anne über das Deck zum Ruderhaus. Die offene Tür schwang gemächlich in der Strömung. Das Deck war geborsten und zertrümmert wie von einer Explosion. Das Ruder schien noch funktionsfähig, ebenso der Kompaß in seiner Fassung, die von Meeresablagerungen verkrustet war. Als Mallory sich in das Innere vorwagte, hatte er das seltsame Gefühl, daß er beobachtet würde und daß irgend etwas fehlte. Ein schlimmes Ende für ein gutes Schiff, dachte er und verließ das Ruderhaus. Anne tippte ihm auf die Schulter, und gemeinsam strebten sie der Helligkeit der Wasseroberfläche entgegen.
      Sie kletterten auf einen abgeflachten, breiten Felsen, der von der Sonne getrocknet war. Anne nahm die Maske ab und atmete einige Male tief ein.
    »Gibt es dazu eine Geschichte?« wollte Mallory wissen.
      »Eines der Schiffe der D-Day-Armada, das es nicht geschafft hat. Es ist in der Nähe von Guernsey torpediert worden. Als die Maschinen zusammenbrachen, wurde es von der Flut direkt hierher auf das Riff zugetrieben. Wie es scheint, hat sich die Besatzung vorher in die Boote retten können.«
    »Woher kennen Sie diese Geschichte?«
    »Owen Morgan hat sie erzählt. Es gibt eine ganze Menge von
    Wracks in dieser Gegend, und Owen kennt sie alle samt ihren Geschichten. Das ist sein Hobby.«
      »Interessant. Ich würde mich gern noch einmal dort umsehen. Haben Sie Lust, noch mal mit hinunterzugehen?« fragte Mallory.
      »Ich glaube nicht. Aber ich warte gern hier. Bleiben Sie aber nicht zu lange. Wenn die Gezeiten wechseln, zieht eine ziemlich starke Tiefenströmung durch die Passage.«
      Die bemerkte er augenblicklich: Wie eine unsichtbare Hand drückte sie ihn zu einer
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