Zorn des Loewen
sammelten spezielle Berichte über Leute, die im Verdacht standen, für die FLN oder andere nationalistische Organisationen zu arbeiten. Neil Mallory war in den Akten erwähnt. Er war Kapitän einer Hochseejacht, die in Tanger ihren Liegeplatz hatte, und er war in das profitable Geschäft des Tabakschmuggels nach Spanien und Italien verwickelt. Man glaubte zudem, daß er auch Waffen für die FLN schmuggelte.«
Hamish Grant leerte sein Glas, stellte es bedächtig auf das Tischchen an seiner Seite und zuckte mit den Achseln: »Mit anderen Worten war er ein zäher, skrupelloser Bursche, der sein Geld machte, wo immer das möglich war. Sie haben mir nichts erzählt, was ich mir nicht auch schon überlegt hatte.« Er schob sein Glas zu Anne hinüber. »Schenk mir bitte nochmal nach, meine Liebe.«
»Es war seine Vergangenheit, die ich höchst interessant fand, als ich seine Akten durchblätterte«, führte de Beaumont weiter aus. »Daher konnte ich mich so leicht an ihn erinnern. Sie erinnern sich an jenes Buch, das ich mir vor etwa einem Jahr bei Ihnen auslieh? Ein Handbuch des Kriegsministeriums ›Ein neues Konzept der revolutionären Kriegsführung‹? Sie erzählten mir, daß es von einem brillanten jungen Offizier geschrieben worden war, im Jahre 1953, in den Monaten nach seiner. Freilassung aus einem chinesischen Gefangenenlager in Korea. Ich glaube, daß es damals einigen Wirbel verursacht hat.«
Der General wurde aufmerksam, und seine Hand schloß sich fest um den Griff des Spazierstocks. »Verdammt, na klar«, rief er aus. »Mallory! Oberstleutnant Neil Mallory.«
»Wie hat man ihn noch gleich genannt nach diesen unerfreulichen Ereignissen in Malaya?« fragte de Beaumont leichthin. »Den Schlächter von Perak?«
Das Glas, das Anne gerade in der Hand hielt, um Whisky einzufüllen, fiel zu Boden und zersprang. Sie stand da und starrte de Beaumont mit weitaufgerissenen Augen an; auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck von Verwirrung. Rasch ging sie zu ihrem Schwiegervater.
»Was meint er damit?«
Hamish Grant tätschelte beruhigend ihre Hand. »Sind Sie sicher, daß es sich um denselben Mann handelt?«
»Die Umstände lassen nicht viel Raum für Zufälle. Zugegeben, bis heute kannte ich ihn nur von einem Foto, aber er hat ein außergewöhnliches Gesicht. Nicht eines von jener Sorte, die man schnell wieder vergißt.«
»Aber worum geht es denn, Hamish?« Anne ließ nicht locker.
De Beaumont war offensichtlich verlegen. »Wahrscheinlich ist es besser, wenn ich jetzt gehe. Verzeihen Sie mir, wenn ich einen Schatten auf diesen doch so vergnüglichen Abend geworfen habe; aber als Freund blieb mir wohl nichts anderes übrig, als das mitzuteilen, was ich über diesen Mann weiß.«
»Sie hatten ganz recht«, bemerkte der General und erhob sich. »Ich bin Ihnen sehr dankbar. Ich hoffe, wir werden Sie bald wiedersehen.«
»Aber natürlich.«
Der alte Mann setzte sich wieder. De Beaumont und Anne schritten durch den Flur zur Tür hin. »Ich werde Jagbir Bescheid geben, daß er Sie im Wagen zur Anlegestelle hinunterbringt«, bot sie ihm an.
De Beaumont schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. An einem so schönen Abend wird mir der Spaziergang guttun.«
Ihre Hand, die er an seine Lippen zog, schien beinahe leblos. Er ergriff seinen Mantel, öffnete die Tür und lächelte: »Gute Nacht, Anne.«
»Gute Nacht, Colonel de Beaumont«, antwortete sie förmlich. Die Tür fiel ins Schloß.
Er blieb oben auf der Treppe stehen, und ein leichtes Lächeln lag auf seinen Lippen. Sie war verärgert, weil er Negatives aus Mallorys Vergangenheit ans Licht gebracht hatte. Die Verärgerung konnte eigentlich nur die spontane Reaktion einer Frau sein, die sich schon gefühlsmäßig engagiert hatte. Und das war interessant.
Er stieg die Treppe hinab zum Haupttor. Jacaud trat aus den Büschen heraus. »Was ist passiert?«
De Beaumont zuckte die Achseln. »Nur etwas Geduld, mein lieber Jacaud. Ich habe die Dinge in Bewegung gebracht. Jetzt müssen wir die weiteren Entwicklungen abwarten.«
Schritte knirschten auf dem Kies, und Jacaud zog ihn augenblicklich in den Schatten. Kurz darauf kam Mallory vorüber und ging auf das Haus zu.
»Was machen wir jetzt?« flüsterte Jacaud. »Nach St. Pierre zurückfahren?«
De Beaumont schüttelte den Kopf. »Die Nacht ist noch jung, und es könnten noch interessante Dinge geschehen. Ich glaube, wir sollten zum Hotel
Weitere Kostenlose Bücher