Zorn: Thriller (German Edition)
auch ein Dutzend in Den Haag – folgten Larssons Bewegung mit dem Zeigefinger in Richtung der Pferdespritze auf dem Vernehmungstisch.
Arto Söderstedt fragte: »Vacek hatte seine Taschenlampe in die Fensternische gelegt, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Larsson.
»Die Zelle war also erleuchtet?«
»Einigermaßen.«
»Was haben Sie hinter Vaceks Schulter gesehen, Viktor?«
Viktor Larsson schloss die Augen und saß eine Weile still da. In der kargen Gefängniszelle in Nowosibirsk herrschte absolute Stille.
»Einen Mann«, antwortete er schließlich. »Er kam auf mich zu, als ich unter Vaceks Leiche lag.«
»Der Mann, der Roman Vacek die Pferdespritze in die Schulter gerammt hat?«
»Ja«, antwortete Larsson. »Er hat mich für einen Augenblick angestarrt. Dann war er verschwunden. Ich habe die Spritze an mich genommen und sie selbst ein paar Tage später auf Goli otok benutzt. Allerdings war sie leer, natürlich. Immerhin hat sie einem Polizisten einen Floh ins Ohr gesetzt.«
»Erinnern Sie sich noch daran, wie der Mann aussah?«
»Es ging alles verdammt schnell, und ich hatte starke Schmerzen und außerdem noch diesen Dickwanst auf mir liegen.«
»Aber Sie haben ihn gesehen?«
»Ja«, antwortete Viktor Larsson. »Natürlich habe ich ihn gesehen. Ich habe ihm in die Augen geschaut. Er hat meinen Blick erwidert, und ich meinte sogar erkennen zu können, wie unglaublich schnell er einen Entschluss fasste.«
»Wie sah er aus?«
»Dreißig, fünfunddreißig Jahre alt, dunkelblonde, kurze Haare. Attraktiv. Keine Auffälligkeiten.«
»Aber Sie haben ein Bild vor Augen? Das Sie mithilfe eines Porträtzeichners erstellen könnten?«
»Ich glaube schon«, antwortete Viktor Larsson.
Arto Söderstedt lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sagte: »Und ich glaube, dass Sie gerade eine Rückfahrkarte nach Stockholm gelöst haben.«
Sara Svenhagen stand auf und trat vor die Kamera.
Das Letzte, was auf dem elektronischen Whiteboard in der Bürolandschaft in Den Haag zu sehen war, war eine Nahaufnahme von Sara Svenhagen. Sie schaute in die Kamera und winkte dezent. Dann wurde sie wieder von Navarros und Sifakis’ Aufstellung des Falles abgelöst.
Paul Hjelm wirkte regelrecht ergriffen, als er auf den großen Bildschirm zeigte und erklärte: »Das muss jetzt allerdings umgearbeitet werden.«
Dann sagte eine ganze Weile keiner etwas.
»Die Frage ist nur, wie«, meinte Hjelm schließlich. »Irgendwelche einleitenden Überlegungen?«
»Zuallererst nehme ich einiges von dem zurück, was ich letztens über Söderstedt gesagt habe«, ließ Marek Kowalewski verlauten.
»Tja«, meinte Paul Hjelm, und ein Lächeln huschte ihm übers Gesicht. »Das ist eine alte Wahrheit: Unterschätze niemals Arto.«
Jutta Beyer räusperte sich dezent. Die Blicke wandten sich in ihre Richtung. »Ist denn die Vorstellung so abwegig, dass Capraia schlicht und einfach ein Kreuzungspunkt war?«, fragte sie nachdrücklich. »Der Punkt, an dem zwei Mordserien unerwartet aufeinandertreffen?«
»Diese These ist wohl ziemlich gewagt. Denn wir wissen nichts von einer zweiten Mordserie. Nichtsdestotrotz haben wir es im Fall Roman Vacek zweifellos mit zwei Mördern zu tun. Was unseren seltsamen Tschechen in noch höherem Maß in den Fokus rückt. Ich möchte, dass wir von nun an einiges an Energie auf Vaceks Tätigkeit in den USA verwenden. Wahrscheinlich werden wir dort eine Erklärung finden.«
»Aber wenn der Mörder dreißig, fünfunddreißig Jahre alt ist«, wandte Miriam Hershey ein, »dann war er nicht älter als fünfzehn, zwanzig, als Vacek nach Europa zurückkehrte.«
»Sind Kinder aus dieser offenen Ehe hervorgegangen?«, fragte Hjelm.
»Nein«, antwortete Kowalewski. »Andererseits eröffnet sich bei einer offenen Ehe ja auch die Möglichkeit, dass uneheliche Kinder aus anderen Beziehungen hervorgegangen sind.«
»Zur Strafe für deinen Hinweis darfst du diese Sache näher untersuchen, Marek. Was noch?«
»Die Genetik«, antwortete Felipe Navarro. »Roman Vacek war bereits ein weltweit führender Forscher auf dem Gebiet der Genetik, als er in den Siebzigerjahren in den Westen flüchtete. Dort erhöhte sich sein Bekanntheitsgrad noch. In den betreffenden Jahren gewann die Genetik enorm an Bedeutung. Ich glaube, dass der Giftangriff auf Vacek eher damit zu tun hat als mit seinem Privatleben.«
»Gut«, sagte Hjelm. »Navarro, Hershey, Balodis, ihr alle nehmt euch Vaceks professionelle Tätigkeit an der Johns Hopkins
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