Zorn: Thriller (German Edition)
Viggo. Wir fangen noch einmal an. Beim zweiten Mal, als du zur Theke gehst. Die Gruppe der kleineren Typen steht links – Johnny Råglinds Gang –, die Großgewachsenen rechts – Isli Vrapis Gang. Okay? Du erreichst die Theke. Dir fällt der Pennergeruch auf. Und dann? Als wir uns letztens auf Långholmen unterhalten haben, sagtest du, sie hätten blöd herumgequatscht. Was bedeutet das?«
Viggo Norlander wirkte etwas mitgenommen. Als wäre seine Seele plötzlich einmal durchgerüttelt worden. Als bestünde die absolute Notwendigkeit, das Dasein aus einer anderen Perspektive zu betrachten.
»Ja, du hast recht«, sagte er nach einer ganzen Weile. »Sie haben blöd herumgequatscht. Wirres Zeug ... Sie haben von einem ehemaligen Kumpel geredet, der seine Wohnung weitergeputzt hat, obwohl er bereits eine Überdosis intus hatte. Er hätte vor lauter Putzen beinahe seinen eigenen Tod verpasst. Die Polizei glaubte an Mord, weil seine Wohnung absolut sauber war. Nirgends auch nur ein Fingerabdruck.«
»Hieß er Andi?«
»Ja, Andi Anorektiker«, antwortete Viggo Norlander, dessen Gesicht sich aufhellte. »Aber dann ging es auch noch um einen Agge. Er sah die Welt verkehrt herum.«
»Das haben wir auch gehört«, bestätigte Kerstin Holm. »Wir haben nämlich mit seinen Kumpels Roger Lind und Olof Karlsson gesprochen. Trotz ihrer etwas wirren Zeugenaussagen haben wir uns ein einigermaßen passables Bild von ihrem Gespräch machen können.«
»Ich kann mich allerdings an keine Gesichter erinnern«, räumte Norlander ein. »An Stimmen hingegen schon. Drei auffallend unterschiedliche Stimmen. Eine war so hell wie die eines Mädchens. Der andere sprach merkwürdig abgehackt. Und die dritte Stimme war tief.«
»Die gehörte Lars-Erik Dahlberg«, erklärte Kerstin Holm, »Lasse Dahlis. Er war derjenige, der in deinen Armen starb, Viggo. Und was er gesagt hat, ist von Interesse für uns. Kannst du dich an irgendetwas erinnern?«
»Also, er war ja in diese eigentümliche Diskussion über Andi und Agge involviert ...«
»Sonst nichts?«
»Ja, doch, warte ...«
Als seine ehemalige Chefin versuchte Kerstin Holm den Eindruck abzuschütteln, dass ein nachdenkender Viggo Norlander ein Paradox an sich war. Stattdessen wartete sie, während sich sein Gesicht vor Anstrengung in Falten legte.
»Es ging um irgendetwas, das nicht direkt im Zusammenhang mit diesem Andi-Agge-Gerede stand«, sagte Norlander schließlich. »Irgendetwas anderes, eine Art Störfaktor. Sie redeten über ›bowel movements‹ , darüber, dass es ein eleganter Ausdruck dafür sei, sich in die Hosen geschissen zu haben.«
»Also auf Englisch?«, fragte Kerstin Holm hoffnungsvoll.
»Ja, die abgehackte Stimme hat das gesagt«, antwortete Norlander.
»Die Stakkatostimme?«
»Ja, verdammt, wenn man so will ... Der Typ sagte: ›Habt ihr das in den Staaten nicht so genannt?‹«
»Ja, Lasse Dahlis hat in den USA gearbeitet. Aber wie kamen sie darauf?«
Viggo Norlander beugte sich vor und konzentrierte sich. »›Das Einzige, was wir hören, sind deine bowel movements ‹, das hat die Stakkatostimme gesagt, weil die tiefere Stimme irgendetwas wie ›Hört ihr?‹ gefragt hat. Ja, so war es: ›Hört ihr?‹ Ich weiß nicht, was er gemeint hat. Aber ich erinnere mich genau daran.«
»Was war mit dem Fernseher? Lief er noch?«, fragte Kerstin Holm. »Zwischen den Flaschen hinter der Theke stand doch ein Fernsehbildschirm. Hat Lasse Dahlis sich über irgendetwas im Fernsehen geäußert?«
»Ja, verdammt«, antwortete Viggo Norlander. »Er zeigte auf den Fernseher und sagte etwas. Es liefen gerade Nachrichten. Aber ich habe keine Ahnung, welcher Sender es war. Kein schwedischer, glaube ich. Und dann wurde ein Text eingeblendet.«
All ihren Instinkten zum Trotz gelang es Kerstin Holm, ruhig abzuwarten. Sie konnte geradezu sehen, wie sich die Erinnerungen durch die Windungen von Norlanders Gehirn pressten. Schließlich sprengten sie jegliche Wälle und standen seinem Besitzer völlig klar vor Augen.
Viggo Norlanders etwas schiefes Gesicht hellte sich auf, und er sagte: »›Das haben wir schon vor dreißig Jahren entdeckt‹, das waren Dahlis’ Worte.«
»Danke«, entgegnete Kerstin Holm.
»Das war ja wohl völlig unnötig, oder?«, rief Viktor Larsson aus und rieb sich die rechte Schulter.
»Es war die Strafe für den dämlichen Versuch, im Polizeigebäude zu fliehen«, entgegnete Jorge Chavez. »Noch dazu bei zwei verschlossenen Türen.«
»Ich wollte
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