Zorn: Thriller (German Edition)
nicht fliehen«, protestierte Larsson. »Ich habe nur versucht, mich Ihrem festen Griff zu entziehen. Es tat weh.«
»Sollen wir einen neuen Versuch unternehmen?«, fragte Sara Svenhagen und warf seufzend einen Blick auf den Bildschirm. »Also, die Nase?«
Viktor Larsson wandte sich dem Bildschirm zu. »Ja, so ist es besser«, antwortete er. »Die Stirn war allerdings höher.«
»Aber die Nase stimmt jetzt so?«, fragte Svenhagen und schob vorsichtig den dunkelblonden Haaransatz des Phantombilds nach oben.
»Ja«, antwortete Larsson. »Jetzt passt es so langsam. Allerdings ist da noch etwas mit dem Kinn. Es müsste vielleicht etwas breiter sein.«
»Noch breiter?«, fragte Svenhagen und verbreiterte sorgfältig die Kinnpartie.
»Sind Sie sicher, dass Sie nicht einfach nur versuchen, ein männliches Idealbild zu entwerfen?«, fragte Chavez. »Er ähnelt ja langsam einem Calvin-Klein-Model.«
Viktor Larsson ignorierte den Einwand, dann rief er aus: »Das ist er!«
Sara Svenhagen ließ die Maus los und betrachtete das Phantombild. Ihr Ehemann hatte nicht ganz unrecht, auch wenn die Calvin-Klein-Werbung nicht gerade ihren Idealmann zeigte.
Der Bildschirm hingegen schon.
Der Mann mit der Pferdespritze von Capraia war zweifellos erstaunlich attraktiv.
Sie hatten sich in Kerstin Holms Zimmer in der kleinen Europolecke oben im Polizeigebäude zurückgezogen. Weitere Nachforschungen hatten ergeben, dass am Abend des 11. Mai um 23.10 Uhr im amerikanischen Sender CNN, der im Pub lief, Nachrichten gebracht worden waren. CNN hatte nun versprochen, den Ermittlern diese Nachrichtendaten zu übermitteln. Aus diesem Grund saßen Kerstin Holm und Viggo Norlander jetzt vor dem Computer und warteten. Sie harrten des unverwechselbaren digitalen Tons, der das Eintreffen einer E-Mail ankündigte.
Doch Norlander wartete nicht wirklich. Er telefonierte. Seine Gespräche erst mit der einen und dann mit der anderen Tochter, die sich ohnehin tagein, tagaus in seiner Obhut befanden, waren für Kerstin Holm eine echte Prüfung. Als er seine Babystimme auch während des abschließenden Gesprächs mit seiner Ehefrau Astrid noch beibehielt, war Kerstin Holm im Begriff, den Raum zu verlassen. Auf der Schwelle wurde sie allerdings von dem unverwechselbaren digitalen Ton zurückgehalten.
Viggo Norlander hörte ihn ebenfalls. Wie durch Zauberhand gewann er seine erwachsene Stimme zurück und beendete das Telefonat mit der Botschaft: »Dann kommt Arto also um sieben Uhr. Ich besorge etwas zu essen und Wein, mach dir keine Sorgen, Liebling. Küsschen.«
Kerstin Holm öffnete die Mail. Ihr war ein Link beigefügt. Sie klickte ihn an, und ein Videoprogramm öffnete sich. Ein Moderator erschien, der über eine entlaufene Katze aus El Paso, Texas, informierte. Nach diversen weiteren Kurznachrichten stellte der Moderator schließlich eine neue wissenschaftliche Entdeckung vor:
»Ein Forscherteam der Oregon State University und der University of California in Berkeley hat einen neuen Abschnitt des sogenannten OXTR-Gens entdeckt, der in hohem Grad die Empathiefähigkeit des Menschen steuert.«
Parallel dazu wurde ein Bild eingeblendet, das eine DNA-Spirale mit einem stark vergrößerten Abschnitt darstellte, auf den ein Pfeil zeigte. Darüber stand: »Empathiegen entdeckt!«.
Als der Moderator wieder ins Bild kam, erklärte er weiter, was dieser genetische Fund bedeutete. Doch in dem Moment fror Kerstin Holm das Bild ein. Die Uhr zeigte jetzt 23.11.07 an.
»Vermutlich zückt Johnny Råglind genau in diesem Augenblick seine Pistole und stürzt auf Isli Vrapi und seine Leibwächter zu. Und dies war offenbar die Nachricht, über die Lasse Dahlis gesprochen hat, oder?«
»Ja«, pflichtete Norlander ihr bei. »Das war es wohl. Ich meine, dieses DNA-Bild auch gesehen zu haben.«
Kerstin Holm nickte und dachte nach.
Sie dachte: »Empathiegen entdeckt!«
Und sie dachte außerdem: »Das haben wir schon vor dreißig Jahren entdeckt.«
Der Wanderer
Den Haag, 29. Mai
Paul Hjelm betrachtete die beiden Gesichter. Sie sahen erstaunlich lebendig aus. In den vergangenen Jahren hatte sich in der Phantombilderstellung zweifellos viel getan.
Im Grunde war es allerdings ein und derselbe Blick. Das eine Bild war zwar mit dem Namen »Wall-e (von Johnny Råglind)« und das andere mit »Capraia (von Viktor Larsson)« gekennzeichnet, aber die Gesichter, die darauf abgebildet waren, sahen einander zum Verwechseln ähnlich.
Der attraktive junge Mann – wer
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