Zorn: Thriller (German Edition)
zur Direktinjektion ins Blut.«
Paul Hjelm hielt die genannten Spritzen hoch, steckte sie dann wieder in seine Brusttasche und fuhr fort: »Aber bedeutend wichtiger sind natürlich die Berichte, die wir in Pierre Rigaudeaus Mund gefunden haben. Habt ihr sie bereits gelesen?«
»Etwas miese Bildqualität«, merkte Kowalewski an und fing sich einen bösen Blick von Bouhaddi ein.
»Aber sie sind lesbar«, wiegelte Hjelm ab. »Wer hat sich darüber Gedanken gemacht?«
»Ich habe sie im Flieger gelesen«, antwortete Söderstedt. »Interessant, die endgültige Konstellation der Sektion zu erfahren: fünf Genforscher, drei Hirnforscher beziehungsweise Neurologen, ein Chemiker, ein Arzt für plastische Chirurgie und ein Orthopäde. Diese Mediziner benötigt man also, um einen neuen Menschentyp zu erschaffen.«
»Oder eher eine weiterentwickelte Variante des guten alten Psychopathen«, fügte Kowalewski an.
»Das Interessanteste, was wir eruieren konnten«, sagte Sifakis, »ist das Schicksal der Familie Berner-Marenzi. Nach dem Tod der Mutter und einem weiteren Jahr in Paris zogen Vater Luigi und die Schwestern Una und Vera schließlich nach Moskau, wo Luigi im Sommer 1997 italienischer Botschafter wurde. Die Töchter heirateten Russen. Vera scheint nach gescheiterter Ehe eine Zeit im Ausland gelebt zu haben, ist dann jedoch nach Russland zurückgekehrt. Aber jetzt kommt das Wichtigste: An einem der Vorweihnachtstage 2005 lässt Luigi Una und ihren Mann Sergej mit der Botschafterlimousine zur Fahrt ins Bolschoitheater abholen, wo sie sich Glinkas Oper Ruslan und Ljudmila anschauen wollen. Die Straßen sind spiegelglatt, und die Limousine gerät mitten in der Innenstadt von Moskau ins Rutschen und kollidiert mit einem Tanklastzug. Alle Insassen sterben in einem Flammenmeer.«
»Irgendetwas Verdächtiges daran?«, fragte Hjelm.
»Lediglich der Zeitpunkt«, antwortete Sifakis. »Es geschieht genau in dem Zeitraum, der zwischen dem Verschwinden von Jacques Rigaudeau im Oktober und dem ersten Mord in der Serie, an Andrew Hamilton III., im Januar liegt.«
»Also in der Zeit, in der W den Berichten zufolge damit beschäftigt war, seine Spuren zu verwischen«, erklärte Kowalewski.
»Und die andere Tochter?«, fragte Hjelm. »Vera?«
»Wissen wir nicht«, antwortete Sifakis. »Sie lässt sich kurz darauf scheiden, und seither fehlt jede Spur von ihr. Es kann natürlich sein, dass sie ebenfalls tot ist. Verschwunden bedeutet in diesem Fall normalerweise tot, leider.«
»Da gab es doch eine Bemerkung ...«, sagte Söderstedt und blätterte in seinen Unterlagen. »Im Tagebuch der Mutter, war es nicht im zweiten Bericht? Ja, hier: ›Sein Lächeln wurde sogar noch etwas breiter, als seine Lieblingsschwester Vera ihn liebevoll umarmte.‹ Das ist die einzige Stelle, an der etwas über die Beziehung der Geschwister zueinander ausgesagt wird. Vielleicht standen sich W und Vera besonders nahe, und er hat deswegen davon abgesehen, sie zu töten.«
»Wende deine gesamte Energie dafür auf, Angelos, nach ihr zu suchen«, forderte Hjelm ihn auf. »Ich stimme Arto zu, Vera könnte wichtig für uns sein.«
Angelos Sifakis nickte kurz.
»Irgendetwas anderes, das eure Aufmerksamkeit erregt?«, fragte Hjelm geradewegs in den Raum hinein.
»Nizza«, antwortete Corine Bouhaddi mit Nachdruck. »Die Stadt Nizza.«
»Lass hören.«
»Die schlichte Tatsache, dass uns zwei Kreditkartenzahlungen genau zu demselben Hotel führen, muss etwas zu bedeuten haben. Ich glaube, dass das Hôtel Palais de la Méditerranée in Nizza in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle spielt.«
»Und welche?«, fragte Hjelm.
»Die Exfrau von Lasse Dahlis in Seattle – hieß sie nicht Jennifer Smith? – sagte aus, dass Lasse ihr einen einzigen geografischen Hinweis gab, nämlich auf Europa. Ich glaube, dass die Sektion ihrer geheimen Tätigkeit irgendwo in der Nähe von Nizza im Süden Frankreichs nachging.«
»Kümmerst du dich weiter darum, Corine?«
»Klar.«
»Also dann«, sagte Hjelm, »noch etwas Auffälliges?«
»Ich denke schon«, meinte Jutta Beyer zögerlich. »Ich habe ein Problem mit der Chronologie. Die Sektion existierte von Februar 1977 bis Januar 1992, oder? Also fünfzehn Jahre lang. Nach dem Fall der Sowjetunion wird sie ziemlich schnell abgewickelt. Damit endet auch Pierre Rigaudeaus Auftrag, W zu überwachen. Die NATO lässt offenbar das gesamte Projekt fallen. Man bekommt fast den Eindruck, sie handelt etwas übereilt.«
»Ich habe
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