Zorn: Thriller (German Edition)
Rechnung offen mit einem Mann namens Christopher James Huntington.«
»Dennoch erwarte ich, dass wir alle von eigenmächtigen Aktionen absehen«, mahnte Hjelm. »Jetzt geht es in erster Linie um W beziehungsweise um Udo Massicotte. Und erst danach um Asterion. Ist das klar?«
Ein etwas missmutiges, aber zustimmendes Brummen klang durch den Raum, bis Laima Balodis mit leiser Stimme sagte: »Watkin Berner-Marenzi: ›Anführer aller Armeen‹.«
»Wie bitte?«, fragte Hjelm.
»Das hat Michael Dworzak ein paar Sekunden vor seinem Tod gesagt«, erklärte Balodis. »W steht für Watkin, was laut Dworzak ›Anführer aller Armeen‹ bedeutet.«
Hjelm nickte und fuhr mit einer Geste in Richtung des elektronischen Whiteboards fort: »Also, der blinkende Punkt steht jetzt seit zwei Stunden auf einem kleinen Ort namens Fresonara in Norditalien. Das bedeutet nicht nur, dass W sich allem Anschein nach zum Übernachten zurückgezogen hat, sondern auch, dass er sich für eine Richtung entschieden hat. Er hat den westlichen Weg in Richtung Frankreich und Nizza gewählt. Aus diesem Grund wird die Opcop-Gruppe den späten Abendflug nach Nizza nehmen. Dort werden wir uns jeweils zu zweit einen Mietwagen nehmen. Bouhaddi und ich, Beyer und Söderstedt sowie Balodis und Kowalewski. Hier in Den Haag bleiben Sifakis und Navarro, die sich unter anderem damit beschäftigen, Asterion mit gefälschten Berichten zu versehen. Wir haben nämlich den Draht von Asterion in unser System gefunden und werden den Spieß jetzt umdrehen. Jetzt sind wir diejenigen, die einen Draht zu Asterion haben. Angelos und Felipe erhalten Unterstützung von den anwesenden nationalen Repräsentanten.«
»Einen Draht zu Asterion?«, fragte Balodis skeptisch.
»Lange Geschichte«, antwortete Hjelm. »Der Flug geht übrigens in anderthalb Stunden von Schiphol aus. Um es kurz zu machen: Wir haben eine falsche Fährte gelegt, wonach W in Paris ist. Sie gibt vor, dass wir die Hintergründe morgen genauer untersuchen und dazu nach Paris fliegen werden. Da Huntington von der Existenz der Opcop-Gruppe weiß, hat er bestimmt Leute hier draußen auf dem Raamweg abgestellt. Wir müssen also den Eindruck erwecken, dass wir uns alle weiterhin hier im Europolhaus befinden, und uns daher heimlich aus dem Gebäude schleichen. Dies müsste über einen unterirdischen Gang im Keller möglich sein. Sifakis und Navarro dürfen also das Gebäude nicht verlassen, bis wir wieder zurück sind.«
»Sieh mal einer an«, sagte Laima Balodis.
Mit diesen weisen Worten in den Ohren machten sie sich auf den Weg. Es gab in der Tat einen gespenstischen Gang unter dem Gebäude hindurch zu einem verlassenen Parkplatz. Dort wartete ein ziviler Kleinbus, der sie zum Flughafen Schiphol brachte. Ohne auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu erregen, betraten sie, einer nach dem anderen, das Flughafengebäude.
Paul Hjelm ging als Erster los. Er hatte nämlich auf dem Weg noch etwas zu erledigen. Er steuerte auf ein Lokal mit dem Namen Bubbles Seafood & Wine Bar zu. In einer unbeleuchteten Ecke saß eine Frau mit einem Glas Champagner vor sich. Hjelm ging auf sie zu. Die Frau hob den Blick. Er wusste, dass sie zweiunddreißig Jahre alt war, und obwohl sie eher wie zweiundvierzig wirkte, sah er, als sie zu ihm aufschaute ein Leuchten in ihren Augen, das den deutlichen Falten um ihren Mund trotzte.
»Vera Volkova?«, fragte Hjelm.
Sie lächelte, und die Art ihres Lächelns zeugte von einer internationalen Diplomatenkindererziehung, die Vera in der Familie Berner-Marenzi genossen hatte.
»Ich nehme an, Paul Hjelm?«, erwiderte sie.
Er nickte kurz, streckte ihr seine Hand entgegen und sagte auf Englisch: »Lassen Sie mich den Champagner übernehmen. Hätten Sie vielleicht Lust, mich nach Nizza zu begleiten?«
»So etwas werde ich von Männern viel zu selten gefragt«, entgegnete sie in gewähltem Englisch und lächelte erneut.
Sie machten sich auf den Weg und stiegen in die Maschine nach Nizza. Die Mitglieder der Opcop-Gruppe saßen bereits alle im Flugzeug verteilt und sprachen nicht miteinander. Paul Hjelm hingegen unterhielt sich mit Vera Volkova.
»Es geht also um Watkin?«, fragte sie, als die Startphase überstanden war und das Signal für die Sicherheitsgurte gelöscht wurde.
»Ja«, antwortete Hjelm. »Haben Sie ihn wiedergesehen, seit er die Familie im November 1994 verlassen hat?«
»Er tauchte nicht einmal bei der Beerdigung von unserem Vater und von Una auf«, antwortete Vera
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