Zorn: Thriller (German Edition)
über seine Wange strich.
Die Haustür war geschlossen. Hjelm bezog seitlich davon Position, während Volkova sich hinter ihm hielt. Langsam streckte er die Hand in Richtung Türgriff aus und drückte ihn dann ganz sacht hinunter. Er wunderte sich noch immer über die Präzision seiner Bewegungen. Die erstaunliche Exaktheit, mit der die menschlichen Muskeln funktionierten.
Die Tür war unverschlossen. Vollkommen lautlos ließ er sie aufgleiten. Er bedeutete Volkova stehen zu bleiben, und sie nickte. Dann ging er hinein. Mit erhobener Pistole.
Im luxuriösen Inneren des Hauses herrschte ein eigenartiges Dämmerlicht. Hjelm blieb in einer geräumigen Eingangshalle stehen, von der Türen in unterschiedliche Richtungen abgingen. Er horchte. Ja, es waren tatsächlich Stimmen zu hören. Englische Wortfetzen. Aber hinter welcher der Türen?
Behutsam bewegte er sich in die Richtung, die ihm am wahrscheinlichsten erschien. Er erzeugte kein Geräusch.
Jetzt stand er vor zwei nebeneinanderliegenden Türen. Er strengte sein Gehör bis aufs Äußerste an, doch im Augenblick herrschte Stille. Hatten sie ihn vielleicht doch gehört? Bereiteten sie sich gerade auf einen Angriff vor? Würde das Rattern eines Maschinengewehrs das Letzte sein, was Paul Hjelm in seinem Leben hörte?
Da vernahm er hinter einer der Türen erneut ein paar Wortfetzen, immer noch unverständlich. Zwei Männer, es mussten mindestens zwei Männer sein. Dann das leise Schniefen einer Frau. Der Lautstärke nach zu urteilen, nicht allzu weit von der Tür entfernt, aber auch nicht direkt dahinter. Die Tür ließ sich in den Raum hinein öffnen. Wenn er sie abrupt aufstieße, würde er seine Waffe innerhalb des Bruchteils einer Sekunde auf die sprechende Person richten können. Die Frage war nur, ob das ausreichte.
Wenn es W gelungen war, in die Villa einzudringen, war er zwar derjenige, der Massicotte und seine Ehefrau bedrohte, aber in dem Fall hielt er bestimmt keine Schnellfeuerwaffe in der Hand; das entsprach nicht seinem Stil. Wenn die Stimmen aber Christopher James Huntington und einem seiner Männer gehörten, die ihre endgültige Verteidigung planten, hatten sie höchstwahrscheinlich Maschinengewehre schussbereit im Anschlag.
Als Hjelm sein Ohr gegen die Tür drückte, wurde eine der Stimmen etwas lauter und sagte mit einem leichten Zittern: »Natürlich ist es möglich, ein kleines Kind einer chiroplastischen Operation zu unterziehen.«
Jetzt hatte Paul Hjelm sich entschlossen. Mit der entsicherten Pistole in der Hand stieß er die Tür auf.
Auf einem Sofa saßen drei Personen nebeneinander, zwei Männer und eine Frau. Alle schon älter. Vor ihnen stand ein gut aussehender dunkelhaariger Mann um die dreißig mit einer Pistole in der Hand, die er soeben mit beeindruckender Geschwindigkeit auf Hjelm gerichtet hatte.
W wirkte dennoch ein wenig erstaunt.
»Polizei«, rief Hjelm. »Lassen Sie die Waffe fallen.«
»Wohl kaum«, entgegnete W in nahezu perfektem Oxfordenglisch.
Sie befanden sich im Patt. Waffe gegen Waffe. Gleichgewicht des Schreckens.
»Sie lassen jetzt Ihre Waffe fallen«, befahl W. »Und zwar sofort!«
Hjelm spürte, wie seine Pistole zu zittern begann. Er ließ sie sinken und legte sie auf den Boden.
»Ausgezeichnet, Herr Kommissar«, lobte W ihn. »Ich verspüre nicht den geringsten Wunsch, Sie zu töten. Allerdings weiß ich nicht, wie Sie es geschafft haben, an der Giftfalle vorbeizukommen. Sie legt nämlich jeden lahm. Aber umso schöner, es zur Abwechslung mal mit einem ebenbürtigen Gegner zu tun zu haben.«
»Antidot«, sagte Hjelm, weil ihm nichts Besseres einfiel. »Es gibt inzwischen ein Gegengift gegen Protobiamid.«
»Sieh mal einer an«, entgegnete W. »Aber Ihre Kollegen sind umgefallen? Machen Sie sich keine Sorgen, sie werden in zwanzig Minuten mit leichten Kopfschmerzen wieder aufwachen. Die Legionäre hingegen schlafen noch eine Stunde. Der große Vorteil an meiner Weiterentwicklung des Protobiamids liegt darin, dass es beliebig dosiert werden kann.«
»Sie wollen also, dass wir Sie festnehmen? Haben Sie uns deswegen hergelockt?«
»Ich habe das Gefühl, dass diese Organisation nicht ganz legal ist. Aber Sie haben uns unterbrochen, Herr Kommissar. Udo war nämlich gerade dabei, die Geschichte zu Ende zu erzählen, die er vor fünfzehn Jahren angefangen hatte einem jungen Mann in Paris zu berichten, eine Geschichte, die das Leben dieses jungen Mannes zerstört hat. Sie haben das Kind also einer
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