Zorn: Thriller (German Edition)
eine Flasche geradewegs in den Bildschirm geschleudert hatte, doch dann registrierte er, dass das Glas seiner Ehefrau leer war. Der Ehemann leerte sein Bierglas ebenfalls und warf seiner Frau einen fragenden Blick zu.
Sie zuckte mit den Schultern, dann beugte sie sich vor und sagte: »Okay, wenn du unbedingt willst. Noch eine Runde.«
Und das hörte er tatsächlich. Im Lokal war es inzwischen etwas leiser geworden.
Also, eine Runde noch, dann war es genug.
Er begann sich die wenigen Meter bis zum Ausschank vorzuarbeiten. Um die Theke herum standen mehrere Leute in diversen Grüppchen beisammen. Etwas links vom Tresen waren ein paar Typen intensiv in ein Gespräch vertieft. Der Ehemann ließ seinen Blick rasch über die vier, fünf Männer gleiten, die alle nicht besonders groß waren. Er schnappte ein paar kurze Phrasen auf, ohne den Versuch zu unternehmen, sie in einen Zusammenhang zu bringen. Floskeln wie »verdammt große Herausforderung« und »verdammt übler Mafioso«. Manche sprachen gebrochen Schwedisch, und vielleicht wäre der Ehemann in seinem früheren Leben angesichts dieser Tatsache hellhörig geworden. Aber weil Gespräche über »Mafiosi« in einer Kneipe nichts Außergewöhnliches mehr waren, pfiff er darauf.
Er drängte sich an einer anderen Gruppierung vorbei, drei, vier groß gewachsene Leute, die prahlerisch dastanden. Der größte von ihnen trug eine Lederjacke und hielt gerade einen Monolog in gebrochenem Englisch über einen Frauenhintern. Als der Blick des Ehemannes auf einen kleineren Mann fiel, der dabeistand, wurde etwas in ihm aktiviert. Die Typen sahen südeuropäisch aus, und er meinte den kleinen, gut gekleideten Mann wiederzuerkennen.
Doch es handelte sich um Erinnerungen an eine ferne Vergangenheit, die er längst hinter sich gelassen hatte. Also pfiff er auch darauf und schob sich bis an die Theke vor.
Dort landete er neben einer dritten Gruppe, und ihm schlug der Gestank entgegen, den er bereits beim vorigen Mal wahrgenommen hatte. Und weil es ihm diesmal nicht gelang, sofort eine Bestellung aufzugeben, hatte er Zeit, sich umzudrehen und die Quelle des Gestanks zu erkunden. Was ihm rasch gelang.
Sie waren zu dritt, einer heruntergekommener als der andere. Und sie quatschten. Drei vom Leben stark gezeichnete Männer, die vermutlich jünger waren, als sie aussahen, standen da und gaben etwas von sich, das man kaum als Gespräch bezeichnen konnte. Wenn überhaupt, handelte es sich eher um drei Monologe im Wechsel, wobei sich ihre Stimmen mit dem schwachen Ton des Fernsehers hinter der Theke vermischten. Er drehte sich wieder zum Barmann um und baute sich so vor ihm auf, wie er es nie mehr getan hatte, seit er seinen Dienst als Polizist quittiert hatte. Während er versuchte, Augenkontakt zu der nachlässigen Bedienung aufzunehmen, drangen Fragmente dessen, was ein Gespräch darstellen sollte, an sein Ohr.
»Apropos Überdosis«, sagte eine helle Stimme. »Erinnert ihr euch noch an den verdammten Junkie, der nach nur einem Kick ganze achtzehn Stunden lang geputzt hat? Unten bei Skanstull. Andi Amphetamin. In der verdammten Bohusgatan.«
»Andi Anorektiker«, sagte ein anderer, der im Stakkato sprach. »Ich weiß. Dauerte achtzehn Stunden, bis der Stoff aus seinem gestählten Körper wieder raus war.«
»Ich glaub, er starb an ’ner Überdosis«, brummte eine tiefere Stimme. »Hat aber, soweit ich weiß, noch fast ’nen ganzen Tag gelebt. Hat die Wohnung, bevor man seine Leiche fand, noch tipptopp geputzt. Die Bullen dachten, es wär Mord, sie hatten noch nie so ’ne geleckte Bude gesehen. Nirgends ’n Fingerabdruck. Total clean. Hört ihr?«
»Tja, Andi«, seufzte die helle Stimme. »’ne Legende. Ronne und die Jungs haben ihn vermietet. Stundenweise. Keiner hat so effektiv geputzt wie er.«
»Und erst jetzt finden sie den Scheiß raus«, sagte die dunkle Stimme. »Da kann man mal sehen, wie langsam die sind. Hört ihr?«
»Das Einzige, was wir hören, sind deine bowel movements «, entgegnete die Stakkatostimme. »Habt ihr das in den Staaten nicht so genannt? Schöner Ausdruck, wenn man sich vollscheißt.«
»Aber im Ernst, verdammt. Das haben wir schon vor dreißig Jahren entdeckt. Und Andi war übrigens Analphabet. Andi Analphabet.«
»Reden wir überhaupt von demselben?«, fragte die Stakkatostimme abgehackt. »Gab es nicht ’nen Typen, der so ähnlich hieß und die Zeitung immer verkehrt herum hielt?«
»Agge«, rief die helle Stimme aus. »Aber Agge hatte
Weitere Kostenlose Bücher