Zorn: Thriller (German Edition)
ist eigentlich gestern Abend in der Kneipe geschehen?«
»Du bist unser Augenzeuge, Viggo«, erklärte Chavez. »Für schwedische Verhältnisse ist das eine große Sache, du verstehst, wie wichtig deine Zeugenaussage ist. Fünf Tote bei einer Schießerei in einem heruntergekommenen Pub im Götgatsbacken. Die Medien werden vor Glück Luftsprünge machen.«
»Mithilfe deiner nächtlichen und anderer Zeugenaussagen haben wir ungefähr rekonstruieren können, was passiert ist«, sagte Holm. »Es war 23.11 Uhr, als das Drama begann.«
»Und dann ging es verdammt schnell, das kann ich euch sagen«, warf Norlander ein und rieb sich die blaue Beule auf der Stirn.
»Übereinstimmenden Zeugenaussagen zufolge dauerte der Vorfall ungefähr zwanzig Sekunden«, erklärte Holm. »Du hast also zwei ›Gruppen‹ mit jeweils vier oder fünf Männern gesehen, davon eine mit relativ klein Gewachsenen, die sich in ›gebrochenem Schwedisch‹ über eine ›verdammt große Herausforderung‹ und einen ›verdammt üblen Mafioso‹ unterhielten, während die Männer der zweiten Gruppe größer waren, ›südeuropäisch‹ aussahen und auf Englisch über Frauenhintern diskutierten. Stimmt das so weit?«
»Eigentlich waren es drei Gruppen«, entgegnete Norlander. »Die dritte bestand aus Säufern, die blöd herumgequatscht haben, bis einer von ihnen in meinen Armen starb.«
»Vermutlich stand er schlicht und einfach im Weg«, sagte Chavez. »Man hat ihm ein Messer in den Rücken gerammt. Außer ihm starben also vier Personen, der Waffenhändler Isli Vrapi selbst sowie seine beiden, bislang noch nicht identifizierten Leibwächter, die mit derselben Waffe erschossen wurden. Draußen auf der Straße wurde ein weiterer Mann mit einer anderen Waffe erschossen. Er selbst trug keine Waffe bei sich, konnte jedoch identifiziert werden. Ein schwedischer Kleinkrimineller namens Taisir Karir, sechsundzwanzig Jahre alt und bereits viermal wegen diverser Gewaltverbrechen vorbestraft.«
»Lasst uns prüfen, ob deine Deutung des Geschehens mit der Interpretation der Stockholmer Polizei übereinstimmt«, schlug Kerstin Holm vor und stärkte sich mit einem kleinen Schluck Weißwein. »Eine Gruppe diverser Kleinkrimineller aus den Vororten Stockholms erkennt in einem Pub im Götgatsbacken einen berüchtigten Schwerstkriminellen und beschließt, ihn niederzuschießen, weil sie es für eine Herausforderung halten. Keine geheimen Vermerke, kein Plan – eine der heftigsten Schießereien aller Zeiten in Stockholm, ausgeführt von einer mit Rohypnol und Steroiden vollgepumpten Gruppe unbedeutender Verbrecher aus einer selbstmörderischen Laune heraus.«
Viggo Norlander schaute von seinem Bier auf und sagte: »Nein.«
»Aber so hast du es doch gesehen, oder?«
»Offenbar.«
»Ich möchte betonen, dass es sich hier um die Theorie handelt, die die Stockholmer Polizei verfolgt«, sagte Chavez. »Aber du siehst es anders?«
»Ich glaube, dass sie zu fünft waren.«
»Wie bitte?«
»Nicht zu viert, sondern zu fünft. Die anderen waren auch zu fünft. Die Waffenhändlertypen.«
»Also außer Isli Vrapi noch vier weitere? Und einer von ihnen hat Lasse Dahlis auf seinem Weg nach draußen erstochen? Kannst du dich an Gesichter erinnern?«
»Dahlis?«
»Lasse Dahlis alias Lars-Erik Dahlberg. Allgemein bekannter Alkoholiker aus Söder.«
»Nein, ich erinnere mich nicht an Gesichter. Es war dunkel, und ich habe meine gesamte Aufmerksamkeit auf den Barmann gerichtet. So ein Typ, der einen einfach ignoriert. Ich kann mich nicht einmal mehr an das Gesicht von diesem Lasse Dahlis erinnern.«
»Aber sie waren klein gewachsen? Was meinst du damit?«
»So wie du.«
»Wie ich?«, rief Chavez aus.
»Vielleicht waren sie es auch nicht«, meinte Norlander nachdenklich. »Vielleicht wirkten sie nur so, weil die Leibwächter um Rappi herum ziemlich groß waren.«
»Vrapi«, korrigierte Chavez ihn. »Isli Vrapi.«
Viggo Norlander stutzte.
»Irgendetwas an eurer Europoleinheit ist nicht ganz koscher«, sagte er schließlich. »Europol sammelt Daten und leitet sie weiter, das ist die Aufgabe von Europol. Aber ihr scheint etwas anderes zu tun. Wie ist eigentlich mein ehemaliger Partner, mit dem ich jahrelang zusammengearbeitet habe, wie zum Teufel ist Arto Söderstedt als Verbindungsmann in Den Haag gelandet? Er hatte doch an der Polizeihochschule in Ulriksdal den perfekten Abschluss seines Berufslebens gefunden. Und dann wird er plötzlich ein gewöhnlicher
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