Zorn: Thriller (German Edition)
Navarro mit einem Seufzer, »ich habe noch weniger zu berichten. Er lebte sehr zurückgezogen, seine Arbeit war ihm scheinbar am wichtigsten. Sein Beruf war also sein Leben. Offenbar passt dazu auch das Erscheinungsbild seines Hauses ...?«
»Offenbar«, antwortete Jutta Beyer eifrig. »Es sieht wie ein Haus aus, in dem man sozusagen zwangsweise wohnt, da man ja schließlich auch eine Art Privatleben haben muss.«
»Aber warum er sich ausgerechnet den hintersten Winkel des Universums Charleroi ausgesucht hat, ist mir ein Rätsel«, sagte Söderstedt.
»Aber auch nur, weil du willst, dass alles rätselhaft ist«, wandte Paul Hjelm ein.
»Nein«, entgegnete Söderstedt. »Ich will eher, dass alles einfach ist, aber so ist es nie. Der Mann war höchstwahrscheinlich Milliardär, warum zum Teufel wohnte er dann in der hässlichsten Stadt der Welt?«
»Sachfrage«, warf Hjelm ein, »war er denn Milliardär?«
»Ich wollte gerade darauf zu sprechen kommen, als ich unterbrochen wurde«, meinte Navarro verdrießlich.
»Du bist nicht unterbrochen worden«, widersprach Söderstedt. »Du wurdest lediglich in eine Gesprächskultur eingebunden.«
Mit einem äußerst feinsinnigen Gespür für die oftmals unterschätzte Kunst des Ignorierens fuhr Navarro fort: »Udo Massicotte war kein Milliardär. Auf seinen privaten Konten, die wir bisher ausfindig gemacht haben, liegen zusammengenommen ungefähr zwanzigtausend Euro. Ebenso viel wurde der Ehefrau nach der Scheidung überwiesen, nach belgischem Recht wird das Gesamteigentum geteilt. Also war nicht mehr Geld vorhanden. Jedenfalls privat. Alle seine Unternehmen sind von einer sozialen Stiftung übernommen worden, aber diesbezüglich bin ich noch nicht weitergekommen. Das Ganze ist ein wenig diffus.«
»Kannst du seine finanzielle Situation weiter überprüfen?«, fragte Paul Hjelm, ohne seine Äußerung als Frage zu intonieren.
Navarro nickte kurz.
»Was habt ihr noch?«, wollte Hjelm wissen.
»Kriminaltechniker und Rechtsmediziner«, antwortete Corine Bouhaddi. »Die Todesursache ist lupenrein. Erstickungstod durch Erhängen mit kurzem Strick. Dürfte laut dem Protokoll des Rechtsmediziners circa eine Minute gedauert haben, entweder eine höllische Minute, oder aber er verlor aufgrund seines Alkoholpegels sofort das Bewusstsein. Wir können nur auf Letzteres hoffen. Keine äußeren oder inneren Anzeichen von Gewalteinwirkung durch Dritte. Keine Schlafmittel oder anderen Gifte.«
»Also nur eine ansehnliche Menge Alkohol im Blut«, fügte Navarro an. »Eins Komma acht Promille. Alles erscheint logisch. Er war nach der Scheidung am Boden zerstört, soff in seiner Einsamkeit und erhängte sich schließlich.«
»Keine anderen Fingerabdrücke als seine eigenen auf dem Strick, auf dem Hocker, auf den er stieg, oder im Ankleidezimmer«, erklärte Bouhaddi. »Keinerlei Anzeichen für einen Einbruch. Die letzte Aktivität am Computer um 22.11 Uhr am Samstagabend, was zu dem errechneten Todeszeitpunkt passt, der circa um 22.30 Uhr eintrat. Hier sind die Fotos.«
Bouhaddi klickte eine Anzahl von Fotos an, die auf der Leinwand erschienen. Sie zeigten einen erhängten Mann in einem Ankleidezimmer sowie eine Leiche in unterschiedlichen Stadien der Obduktion.
»Wie sorgfältig war die toxikologische Untersuchung der belgischen Polizei?«, fragte Hjelm.
»Laut Protokoll war sie umfangreich. Ich habe mit dem Rechtsmediziner gesprochen, der eine erweiterte toxikologische Analyse angefordert hat, um nicht möglicherweise irgendwelche Gifte zu übersehen. Außerdem sind Blutproben genommen worden.«
»Darüber hinaus werden wir ihn im Kühlfach behalten«, sagte Hjelm. »Und wir werden einen eigenen Rechtsmediziner hinschicken, für eine zweite Meinung. Zufrieden, Arto?«
»So einigermaßen«, antwortete Söderstedt.
Hjelm begann seine Papierstapel zusammenzuraffen, als Balodis mit einem Blick auf ihre enge Freundin Hershey erklärte: »Die Forschungsgruppe in Straßburg hat sich damit beschäftigt, eine Methode zu entwickeln, um chiroplastische Eingriffe zu identifizieren, nicht spezielle Terroristen. Mit anderen Worten, die Gruppe, die übrigens ebenso geheim ist wie unsere, hat keine Drohungen erhalten.«
Hershey fuhr fort: »Wir haben diverse Sicherheitsunternehmen konsultiert, sowohl im Westen als auch im Osten Europas, und konnten keinerlei terroristische Aktivitäten ausmachen, bei denen auch nur im Geringsten eine Verbindung zu der kleinen Gruppe in Straßburg unterhalten
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