Zorn: Thriller (German Edition)
Gefängnistreppenstufen hinunterstiegen. Wobei sie auf eine deutsche Familie mit Kindern trafen. Als die Familie an ihnen vorbeigegangen war und die letzten deutschen Wortfetzen auf ihrem Weg hinauf verklangen, hatten die drei das Lokal im Untergeschoss erreicht. Es war gerade geöffnet worden. Eine Bedienung kam auf sie zu und wies ihnen den Weg zu einem Tisch. Sie waren die ersten Gäste.
»Ich verstehe den Sinn des Ganzen immer noch nicht«, sagte der ältere Mann. »Ich bin schon oft auf Långholmen gewesen. Es ist also nichts Neues für mich. Als ich noch ein Jungspund war, war es das Gefängnis schlechthin. Und im Unterschied zu euch Jungspunden habe ich die Kriminellen noch eigenhändig hier eingeliefert.«
»Nun mach dich mal locker«, sagte der Jüngere. »Es bietet uns die Möglichkeit, dich außerhalb des Polizeireviers zu vernehmen. Sag bloß nicht, dass du dich darüber beschweren willst.«
»Es ist nur so, dass ich direkt aus dem Krankenhaus komme. Gehirnerschütterung und ein verstauchter linker Knöchel.«
»Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, das Verhör so entspannt wie möglich zu gestalten, Viggo«, erklärte die Frau, woraufhin sie eine Bedienung zu sich winkte und sie ihre Bestellung aufgaben.
»Du behauptest also, dass es in einem Gefängnis entspannt sein kann, Kerstin?«
»Es ist ein ehemaliges Gefängnis«, antwortete Kerstin Holm. »Oder was meinst du, Jorge?«
Der junge Mann bekam sein Bier, erhob sein Glas und sagte: »Die Vernehmung beginnt um 17.03 Uhr am zwölften Mai. Anwesend sind die Polizisten Jorge Chavez und Kerstin Holm, seine Chefin, sowie der ehemalige Polizist Viggo Norlander. Prost.«
»Wir werden dieses Tonband aber ordentlich redigieren müssen«, brummte Viggo Norlander und erhob ebenfalls sein Glas.
»Erstens gibt es kein ›wir‹, Viggo«, erklärte Jorge. »Denn hier sitzen zwei Polizisten und ein Zivilist. Und zweitens existiert überhaupt kein Tonband. Während es zu Beginn unserer Laufbahn ja noch Bänder und Kassetten gab.«
»Trotzdem«, beharrte Viggo Norlander mit der nachdrücklichen Kraft des durchdachten Arguments.
»Vor allem aber gibt es keine Aufnahme«, ergänzte Kerstin Holm und nippte an ihrem Weißwein. »Also lasst uns einfach ganz informell über das sprechen, was gestern Abend im Götgatsbacken vorgefallen ist.«
»Ich vermute, ihr habt das Vernehmungsprotokoll aus dem Söderkrankenhaus bereits gelesen?«, fragte Viggo Norlander. »Ich möchte nur betonen, dass ich zu diesem Zeitpunkt ein wenig angeschlagen war.«
»Deswegen wollen wir das Ganze ja unter besseren Bedingungen noch einmal wiederholen«, erklärte Jorge Chavez.
»Und die Tatsache, dass ich den klein gewachsenen gut gekleideten Mann an der Theke wiedererkannt habe, ist der Grund dafür, dass ihr involviert seid? Die Europoleinheit?«
»Hast du ihn denn wirklich wiedererkannt?«, fragte Kerstin Holm.
»Das habe ich dem Uniformierten im SöK doch gesagt, oder?«
»Wir wollen uns nur vergewissern«, antwortete Jorge Chavez. »Du hast gesagt – ich zitiere: ›Es war entsetzlich. Er stand da, als würde er einem zuprosten wollen. Obwohl sein halber Kopf fehlte.‹ Ende des Zitats. Du hast nicht gesagt, dass du ihn wiedererkannt hast.«
»Ich weiß allerdings nicht, woher ich ihn gekannt habe«, gestand Viggo Norlander. »Ich weiß nur, dass ich sein Gesicht schon einmal gesehen habe. Das, was dann fehlte.«
»Das hast du auch«, nickte Kerstin Holm. »Auf internationalen Fahndungsfotos, mindestens fünfzehn Jahre lang. Du hast bei der Vernehmung im Krankenhaus ausgesagt, dass man ihn als ›Mafioso‹ bezeichnet habe, was aber nicht ganz stimmt. Er hieß Isli Vrapi und war sehr erfolgreicher albanischer Waffenhändler. Nach ihm wurde ununterbrochen gefahndet, da er bei bewaffneten Konflikten rund um den Erdball stets involviert war. Er war der vielleicht wichtigste inoffizielle Lieferant aller möglichen Waffen an Untergrundorganisationen weltweit. Und auch an Regierungstruppen.«
»Aber was zum Teufel hat er in Schweden gemacht?«, rief Norlander aus.
»Das ist eine unserer Kernfragen«, antwortete Chavez. »Es gibt nämlich von internationaler Seite eine Menge Hinweise darauf, dass eine große – also eine richtig große – Waffenlieferung unterwegs war. An eine bislang noch unbekannte Terrororganisation.«
»Und aus diesem Grund hat man Europol eingeschaltet?«
»So ungefähr«, antwortete Holm. »Und unsere zweite Kernfrage lautet: Was zum Teufel
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