Zorn: Thriller (German Edition)
Zweimal kurz, einmal lang. Alles stimmt, nichts kann schiefgehen.
Ein letzter Moment der Selbstüberwindung.
Sie haben es zugelassen. Auf sie wartet die Zeitwolke. Sie sind es, auf die Deda gewartet hat. Sie haben es nicht nur zugelassen, sie haben es sogar angeordnet. Sie haben notwendige Opfer für das Wohl der Allgemeinheit befohlen.
Sie sind nicht unschuldig.
Er dort drinnen, der so gehorsam und eifrig mit seiner Taschenlampe blinkt, auch nicht.
Zweimal kurz, einmal lang.
Der Lichtkegel wandert zu der Gefängniszelle. Auf einem vertrockneten Grasbüschel an der Schwelle zur Zelle trifft das gelbliche Licht auf das bläuliche. Wie das Licht zweier Generationen. Das Blinken der blauen Leuchtdioden durchbohrt den milderen gelben Lichtschein, als sie sich schließlich begegnen. Zweimal kurz, einmal lang. Ein weiteres Mal, sozusagen aus Gewohnheit.
Dann die Stimme von drinnen, heiser und beflissen: »Kommen Sie herein, kommen Sie herein.«
Die Tür ist halbiert und scheint in der einzig verbliebenen Angel festgerostet zu sein. Es ist etwas schwierig, sich darunter hindurchzuschieben. Bläuliches Licht gleitet an den kargen unebenen Steinwänden entlang, bis der Lichtkegel endlich in dem kleinen hinteren Zellenfenster verharrt. Die bläuliche Leuchtdiode formt einen Kreis an der Wand neben der halbierten Zellentür. Als der groß gewachsene Mann die Taschenlampe auf den Sims des Zellenfensters legt, erzittert der bläuliche Kreis für einen Augenblick.
Er kommt näher, so nahe, dass sein ätzender Atem zu riechen ist, als er in amerikanischem Englisch sagt: »Eine gewisse Geheimniskrämerei kann ich ja verstehen, aber das hier ist doch nahezu lächerlich.«
Das gelbliche Licht bewegt sich auf den Kopf des Mannes zu, ohne ihn jedoch direkt zu blenden. Der Lichtkegel bleibt auf seiner Brust hängen. Der Effekt ist erstaunlich, ein Gespenstergesicht mit einer kräftigen Kinnpartie. Der Schatten verdoppelt die Brille.
Der Mann ist recht gut gekleidet, auf diese etwas planlose Art und Weise, die einem so bekannt vorkommt. Immer das Gleiche.
Erneutes Ausatmen. Der Atem riecht ebenso scharf, diesmal ist es noch deutlicher wahrnehmbar. Der Atem eines alten Mannes. Eines nervösen alten Mannes. Eines angespannten alten Mannes, jedoch keinesfalls der eines ängstlichen alten Mannes. Eher eines erwartungsvollen alten Mannes.
Inzwischen bereits daran gewöhnt, in diesem Augenblick die eigene Stimme nicht wiederzuerkennen, sagt man: »Ich habe das Material in dieser Tasche hier. Einen Augenblick.«
Die Tasche fällt auf den harten Steinboden. Metall klirrt. Jemand, der extrem misstrauisch ist, hätte möglicherweise darauf reagiert. Doch dieser Mann tut es offenbar nicht. Er zeigt keinerlei Unruhe, keine Angst, eher eine atemlose, ungemein gespannte Erwartung.
Dass es immer wieder gelingt, ihre tiefsten Bedürfnisse zu ergründen. Die sie um ein Vielfaches von ihren Gewohnheiten abweichen lassen und die oftmals tiefer verwurzelt sind als bei anderen.
Dementsprechend reagiert er hauptsächlich mit Erstaunen darauf, dass das, was er erblickt, nicht dem Erwarteten entspricht. Die beiden Lichtkegel lassen die metallene Schneide aufblitzen.
Licht auf der Schneide.
Zuerst weicht der Mann zurück. Das ist die übliche Reaktion. Hebt die Arme, streckt die Hände vor. Diese vergebliche, im Prinzip fast rührende Abwehrhaltung aus einer Epoche weit vor der Steinzeit. Wirkungslos gegen moderne Waffen.
Doch dann geschieht etwas. Eine abrupte Wendung. Anstatt weiter zurückzuweichen, wirft sich der Mann nach vorn, in Richtung des Messers. Ergreift das Handgelenk. Doch irgendetwas stimmt nicht. Nur was? Es ist nicht ganz klar, aber irgendetwas läuft schief.
Der Blick, es ist der Blick hinter den dicken Brillengläsern. Er ist nicht aggressiv, nicht angriffslustig, eher erstaunt, erneut, doch nun auf andere Weise. Sein Griff um das Handgelenk rutscht ab, während sein schwerer Körper nach vorn stürzt.
Das Messer ist wieder frei.
Alles geht so schnell, und dennoch erscheint es wie in Zeitlupe. Dann prallt der Rücken auf den Steinboden, der schwere Mann fällt obenauf.
Den Schmerz in der Wirbelsäule ignorieren und sich konzentrieren.
Während das Messer langsam unter den Rippen des Mannes eindringt, ahnt der Blick eine Bewegung hinter dessen Schulter. Er bleibt an einem zitternden Gegenstand hängen, der auf der Schulter sitzt. Nein, in der Schulter. Tief in der Schulter.
Es ist eine Spritze, eine richtige
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