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Zorn: Thriller (German Edition)

Zorn: Thriller (German Edition)

Titel: Zorn: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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hinunter auf seinen Arm, während es geschieht. Der Schmerz verschwindet immer mehr, die Empfindung wird schwächer. Doch das hindert ihn nicht daran, den Schmerz, den er bereits verspürt, zu sehen.
    Zu sehen, wie sein eigener Arm abgefressen wird.
    Zu sehen, wie die Knochen bloßgelegt werden, der Oberarmknochen, das Ellenbogengelenk, die Speiche. Und die Hand, die Handwurzelknochen, die Mittelhandknochen, die Finger. Selbst die Finger werden abgenagt.
    Das, was Deda erlebt, während es geschieht, wird ihn niemals wieder loslassen. Jede Sekunde wird ihn wieder einholen, der Bruchteil jeder Sekunde wird eine Hauptrolle in einem der vielen Albträume spielen, die sein restliches Leben bestimmen.
    Sein restliches Leben.
    Dann ist es Zeit für den anderen Arm, die Beine, den Rumpf. Wenn er nicht wie ein Stoffbündel in einen der Pappelhaine gehängt wird. Neben dem Jutesack mit Fainas hellgrünem Kleid werden seine Körperteile in einem anderen Jutesack hängen. Falls überhaupt noch irgendetwas von ihm übrig bleibt.
    Denn er ist ja noch so klein.
    Er schwebt irgendwo zwischen Bewusstsein und Bewusstlosigkeit. Da hört er ein Geräusch, zwar ist es nur ein mattes Echo, aber dennoch so viel deutlicher und kräftiger als die Geräusche, die er in der letzten Zeit gehört hat. Denn jetzt hören die schlürfenden und schmatzenden Laute auf. Das Fressen hat ein Ende.
    Der Glatzköpfige fällt um. Hinter seinem eigenen abgenagten Arm – hinter dem Skelettarm – erblickt Deda den Kopf des Glatzköpfigen mit einem Loch darin, das geradewegs hindurchgeht. Er sieht durch das Loch tatsächlich ein Stück Himmel und dann einige glänzende Knöpfe aufblitzen.
    Er sieht eine Uniform.
    Danach sieht er nur noch sich selbst. Sein rechter Arm ist der eines Skeletts.
    Dann sieht er nichts mehr.
    Er öffnet die Augen erst wieder, als er im Gefangenenlager weit entfernt von der Insel mit einem abgetrennten Arm erwacht, der durch einen dicken Verband um die Schulter ersetzt wurde.
    In diesem Augenblick ist die Sonne an der Fensteröffnung des runden steinernen Lagergebäudes vorbeigezogen und untergegangen. Es geht darum, das zu sehen, was Deda gesehen hat. Das zu spüren, was er gespürt hat. Die ganze Zeit über.
    Es lässt die Zeit in einem anderen Licht erscheinen.
    Der Körper schmerzt, als hätte man zu lange in ein und derselben Position verharrt, abgewandt von der Welt. Die Zeit ist vergangen. Viel Zeit. Keine Tüllgardine, die sich in der glaslosen Fensteröffnung bewegt. Nichts bewegt sich. Außer dem Sekundenzeiger auf der Armbanduhr, dessen ruckartige Bewegungen unbarmherzig sind.
    Ein langes Ausatmen. Zeit, sich auf den Weg zu machen.
    Die Taschenlampe aus der Tasche holen, die Tasche über die Schulter hängen. Das gelbliche Licht huscht über die zerfallenen Gerätschaften des Lagergebäudes.
    Heute ist ein besonderer Tag. Es ist der Jahrestag von Dedas Ankunft auf der Insel.
    Der Pfad ist in der rasch einsetzenden Dunkelheit schwer zu finden, weshalb die Wanderung fast eine Stunde dauert. Bei der Ankunft ist es pechschwarz. Nicht die Felskante übersehen; der Schein der Taschenlampe ist lebensnotwendig. Unterhalb der Kante liegt das Gefängnis in der Senke. Die Taschenlampe ausschalten. Man kann die Gefängnisgebäude immer noch erkennen, als wäre die Dunkelheit von Lichtstreifen durchzogen. Von hier oben Ausschau halten. Aber eigentlich dürfte niemand dort unten sein. Das gläserne Schiff ist nach Rab zurückgekehrt, und mit ihm haben die Touristen Goli otok verlassen.
    Alles ist ruhig.
    Die Taschenlampe wieder einschalten; der gelbliche Schein findet den verwachsenen Pfad und folgt ihm in die Senke hinab zu den Gefängnisgebäuden.
    Auf dem Gefängnishof senkt sich der Lichtkegel vor den Füßen auf den steinigen Boden.
    Warten.
    Plötzlich – ein Leuchten. Aus einer Gefängniszelle heraus. Aus der Gefängniszelle ganz links in dem linken lang gestreckten Gebäude.
    Dann ist es kein Leuchten mehr, sondern ein Blinksignal.
    Zweimal kurz, einmal lang.
    Zweimal kurz.
    Einmal lang.

Brieftasche
Stockholm, 19. Mai
    Die Vernehmung von zwei leicht entnervten Herren namens Roger Lind und Olof Karlsson ging dem Ende entgegen. Ersterer redete mit viel zu heller Stimme, was dafür sprach, dass er zu viel Alkohol konsumiert hatte, während die stakkatoartige Sprache des anderen eher auf eine Amphetaminabhängigkeit hinzuweisen schien. Dennoch herrschte kein Zweifel, dass sowohl Roger Lind als auch Olof Karlsson handfeste

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