Zorn: Thriller (German Edition)
erwartet«, erwiderte Hjelm und lächelte ebenfalls kurz. Dann fuhr er mit ernster Miene fort: »Stellt euch vor, die Sache wäre so übel, dass drei von Sicherheitsbeamten umgebene hohe Tiere im Laufe von wenigen Tagen gestorben sind und keiner der Fälle in irgendeiner Weise in Verbindung mit den anderen steht. Ein Selbstmord, eine Bluttat in der Kneipe und das Opfer eines schlichtweg verrückten Serienmörders, alles völlig unabhängig voneinander. Absolut purer Zufall.«
»Das glaube ich nicht«, wandte Arto Söderstedt ein.
»Ich auch nicht«, pflichtete Hjelm ihm bei. »Manchmal ist der Zufall die unwahrscheinlichste Option.«
Dann warf er einen schiefen Blick hinaus auf den Hubschrauber, der mitten auf dem ehemaligen Gefängnishof stand, und sagte: »Es ist Zeit loszulegen. Und dann werden wir verflucht noch mal sehen, ob man nicht auch mit einem Linienflug nach Hause fliegen kann.«
Insel III
Goli Otok, 18. Mai
Das gläserne Schiff von Lopar ist voller deutscher, russischer und italienischer Familien mit Kindern. Das ist gut. Man wird nicht so leicht entdeckt. Diesmal ist zwar keinerlei Verkleidung nötig, aber dennoch ist sie auf andere Art vorhanden. Keine Fehler, so lautet die Grundregel.
In dem gläsernen Schiff ist der Boden mit einer Glasscheibe versehen, sodass man direkt auf das glasklare Wasser des Mittelmeers schauen kann. Aber der Blick richtet sich keineswegs darauf. Er richtet sich auf die extrem karge Felseninsel, die nackte Insel. Jetzt werden die ersten Verwaltungsgebäude sichtbar, die kaum von der endlosen Steinwüste aus Werkstätten für den Steinbruch, Wachtürmen, Bunkern, Suchscheinwerfern und Stacheldraht zu unterscheiden sind. Je mehr Gebäude auftauchen, desto mehr Bäume werden auch sichtbar. Die Pinien stehen bis hinunter zum Strand, dahinter ist der kleine Hafen zu erkennen. So nackt ist diese Insel also gar nicht, wenn auch karg. Doch dieser Eindruck währt nicht lange.
Im Hafen liegen Schiffe vor Anker, etwa zehn Segelboote und kleinere Jachten. Auch das Gebäude an sich ist nicht so verlassen, wie es aus der Entfernung wirkte. Als sich das Schiff dem Hafen nähert, werden ein Restaurant und ein paar Kioske erkennbar. Goli otok hat sich zu einem Ausflugsziel für Touristen entwickelt. Jedoch nur tagsüber. Nach ein paar Stunden fährt man mit dem gläsernen Schiff wieder zurück auf die Touristeninsel Rab, nach Lopar.
Die Passagiere des gläsernen Schiffes gehen an Land und verteilen sich über das Hafengebiet. Die Mehrheit wandert die Straße hinauf zur größten Touristenattraktion der Insel, dem Gefängnis.
Das stillgelegte Industriegebiet direkt neben dem Hafen dient als geeignetes Versteck, während die Touristen den Hügel hinauf verschwinden. Vereinzelte Ausflügler werfen einen Blick in die verlassenen Gebäude. Allerdings nicht viele, und keiner beachtet den anderen. Also besteht keine Gefahr, entdeckt zu werden.
Vor einer Werkstatt steht ein Schild, das in großen roten Lettern verkündet: »Mi gradimo Goli otok – Goli otok gradi nas. Zivio Tito.« Das schiefe Lächeln schmerzt fast im Gesicht.
»Wir bauen Goli otok auf – Goli otok baut uns auf. Es lebe Tito.«
Die inzwischen menschenleere Straße ist steiler als erwartet. Beim Werfen der Tasche über die Schulter ist ein metallischer Klang zu hören. Wie ein leiser Gong.
Die erste Runde.
Die Wanderung dauert nicht länger als eine halbe Stunde. Die Gefängnisgebäude dort unten in der Senke sind geometrisch exakt ausgerichtete Kolosse, die den Gefängniskomplex auf Capraia sowohl human als auch winzig erscheinen lassen. Überall grinsen vergitterte Zellenfenster dem Besucher höhnisch entgegen.
Der Treffpunkt ist in dem linken der weitläufigen Gebäude die letzte Zelle ganz links. Das dürfte als Instruktion eindeutig genug gewesen sein.
Aber noch sind zu viele Leute hier. Man kann sich nicht in Ruhe hinsetzen, nachdenken und auf den Einbruch der Dämmerung warten. Sich die Erinnerungen ins Gedächtnis rufen. Es muss noch einen einsameren Ort geben.
Auf der anderen Seite liegen den Abhang entlang kleine Gebäude verstreut, von denen sicher jedes einmal eine Funktion erfüllt hat. Sie sind überall, und jedes von ihnen hatte seinen Zweck innerhalb dieses diabolischen Bauwerks.
Nach einer einstündigen Wanderung türmt sich ein rundes Steingebäude auf, das Lagerräume zu beherbergen scheint. Immer wieder dieser Stein. Keine Touristen in der Nähe. Drinnen riecht es etwas modrig, aber die Kühle
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