Zorn: Thriller (German Edition)
auf If hinausgeschaut. Und ich gehe jede Wette ein, dass If in dieser Mordserie ebenfalls auftaucht.«
»Und warum haben wir dann noch keinen Hinweis auf diese Insel gefunden?«, fragte Sifakis. »Sie liegt doch in Europa, gehört zur EU.«
»Das ist irgendwie merkwürdig«, pflichtete ihm Bouhaddi bei. »Dann werde ich jetzt direkt nach Todesfällen auf If in den vergangenen zwei Jahrzehnten suchen.«
Es wurde für eine Weile still.
Schließlich sagte Sifakis: »Das Opfer auf der ehemaligen Gefängnisinsel Ko Tarutao hieß übrigens Thanduyise Tsotsobe und war Pressechef bei der SACP, South African Communist Party. Er starb im Januar 2004.«
»Es kommt mir immer noch ziemlich sonderbar vor, dass vor uns noch niemand diese Verbindung entdeckt hat«, sagte Marek Kowalewski.
»Die Welt ist noch nicht so lange vernetzt«, entgegnete Hjelm. »Jedenfalls nicht großflächig. Das gerät leicht in Vergessenheit. Vor allem die Polizeibehörden sind es nicht.«
»Ich glaube, ich habe hier etwas«, sagte Corine Bouhaddi. »Ein französischer Akademiker im Herbst 2001. Er lag so lange an einer abgelegenen Stelle auf If, dass seine Leiche nahezu skelettiert war, als man ihn fand. Es bestand kein Grund, einen Mord anzunehmen, und an seinem Arm war auch nicht mehr genügend Fleisch, um festzustellen, dass ihm dort jemand ein Stück herausgebissen hätte. Dieser Tod wurde schlicht und einfach nicht als Verbrechen eingestuft. Deswegen haben wir ihn übersehen.«
»Und aus welchem Grund sollen wir jetzt annehmen, dass es ein Verbrechen war?«, fragte Paul Hjelm.
»Er war Philosoph«, antwortete Bouhaddi, »und in der französischen kommunistischen Partei aktiv. Seine Brieftasche wurde am Fundort sichergestellt. Bevor er starb, war er an der Universität in Göteborg Dozent. Er hieß Didier Girault, wurde in Schweden ›Roter Didde‹ genannt und vertrat in seinen Philosophievorlesungen eine, Zitat, ›provozierend marxistische‹ Einstellung. Seine Leiche wurde erst im Frühjahr 2002 gefunden, aber man stellte fest, dass der Tod im Oktober 2001 eingetreten war, als die Mordserie offenbar begann. Auf If, der Gefängnisinsel von Monte Christo.«
»Ja, es scheint keine früheren Morde zu geben«, stellte Angelos Sifakis fest. »Jedenfalls noch nicht.«
»Das ist der Ausgangspunkt«, sagte Bouhaddi. »Alles begann mit Didier Girault, dem ›Roten Didde‹. Damals geschah etwas, das den Mörder veranlasste, im Namen des Toten zu sprechen. ›Wer sendet mir diesen Gedanken?‹, wie seine erste Mitteilung an uns beginnt.«
»Fährst du nach Marseille, Corine?«, fragte Hjelm.
»Heureka«, rief Corine Bouhaddi nach kurzem Zögern.
3 – Steife Brise
Råglind
Bromma, Stockholm, 22. Mai
Der Frühling hatte in Stockholm Einzug gehalten. Kerstin Holm schaute in den knallblauen Himmel. Nirgends war ein Wölkchen zu sehen. Ein unbarmherziger Himmel.
Dann blickte sie hinunter auf ihre Dienstwaffe und streckte ihren Nacken. Dem Knacken folgte direkt das Klicken des Entsicherns der Waffe. In der absolut stillen Vorortstraße klang es wie ein Pistolenschuss und dessen unmittelbar folgendes Echo.
Sie warf Jorge Chavez einen Blick zu. Er erwiderte ihn und entsicherte ebenfalls seine Waffe.
Sie standen auf der Terrasse vor einem nicht unterkellerten zweigeschossigen Haus in Bromma, jeder an einer Seite der Tür, deren Schloss angeblich nicht funktionierte. Dies hatte der völlig verängstigte Zeuge ausgesagt, der den Mörder auf einem Fahndungsfoto als den Mann identifiziert hatte, den er zwangsweise mit Lebensmitteln versorgt habe und der sich nun in einem unverschlossenen Haus in Bromma aufhalte.
Kerstin Holms Hand näherte sich dem Türgriff. Das Schloss war mit einem Türblech verdeckt, weshalb man nicht erkennen konnte, ob die Tür verschlossen war oder nicht. Wenn sie unverschlossen wäre, würde es ihnen möglicherweise gelingen, lautlos ins Haus zu gelangen. Und wenn sie doch ein Geräusch machten, würden sie es mit einem schießerprobten frischgebackenen Dreifachmörder zu tun bekommen, der einen international bekannten Waffenhändler und seine vier absolut durchtrainierten Leibwächter überlistet hatte.
Es war Viertel nach elf, als Kerstin Holm den Türgriff umfasste. Im besten Fall lag der Täter also im Tiefschlaf, im Rohypnoltiefschlaf.
Ganz sachte drückte sie den Türgriff hinunter.
Verschlossen oder nicht? Verbarrikadiert oder nicht? Alles hing von ihrer Behutsamkeit ab. Ihrer Besonnenheit. Der Türgriff war
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