Zorn: Thriller (German Edition)
verdammt noch mal selbst tun. Ich lasse einen großen Anteil des Budgets dafür freigeben. Wir werden uns diesen Mörder schnappen.«
»Wir werden also tatsächlich Fernreisen unternehmen?«, fragte Jutta Beyer hoffnungsvoll.
»Es sieht so aus«, antwortete Hjelm. »Wir müssen Massicotte und Stockholm bis auf Weiteres in den Hintergrund schieben.«
»Dass er nun in Europa zu morden beginnt und den zeitlichen Abstand verringert, ist ebenfalls ein Hinweis«, meinte Beyer. »Das ist eindeutig. Jetzt will er reden. Und er will seine Vergangenheit sprechen lassen. Es ist offenbar an der Zeit. Das bedeutet, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit an allen Tatorten gut erhaltene Zettel mit Zitaten hinterlassen hat.«
»Außerdem ist noch ein weiterer Hinweis hinzugekommen«, sagte Hjelm, als Sifakis’ Computer erneut zu klingen begann.
»Isla Dawson, Chile«, verkündete Sifakis.
»Was etwas paradox anmutet«, meinte Söderstedt, »weil Pinochet während der Zeit der Junta dort Kommunisten eingesperrt hat.«
»Stimmt«, pflichtete ihm Sifakis bei und ließ seine Finger zielgerichtet über die Tastatur gleiten. »Das Gefängnis wurde allerdings bereits in den Siebzigerjahren geschlossen. Das Opfer war ein ehemaliger russischer Redakteur der Prawda , ein Pavel Morozov, auf der Flucht vor der Justiz, nachdem er in Abwesenheit aufgrund von, Zitat, ›kommunistischer Aufwiegelung‹ verurteilt worden war. Ermordet im August vergangenen Jahres. Biss in den Oberarm, et cetera.«
»Was wollte der Chef gerade sagen?«, fragte Jutta Beyer.
Der Chef starrte sie ein paar Sekunden lang irritiert an, bevor er sagte: »Ja, genau. Ein weiterer Hinweis ist hinzugekommen.«
Er hielt der Gruppe ein ausgedrucktes Blatt Papier hin. Darauf war eine Kohlezeichnung eines Mannes mit vollem schwarzen Haar und einem üppigen schwarzen Schnauzbart zu sehen. Hinter der Haarpracht wirkten die Gesichtszüge sehr fein.
»Donatella Bruno hat einen Polizeizeichner zum Hotelbesitzer auf Capraia und zum Kapitän der Fähre geschickt. Und sie hat einen weiteren Zeugen von der Fähre aufgetan. Einen moldawischen Touristen, der beobachtet hat, wie dieser Mann die Hand über die Reling ausstreckte und einen aufspringenden Delfin streichelte.«
»Kann man Delfine wirklich von einer Fähre aus streicheln?«, fragte Miriam Hershey leicht skeptisch.
»Unser moldawischer Tourist fand jedenfalls, dass es etwas seltsam aussah«, erwiderte Hjelm und las von der Rückseite des Papiers ab: »›Es war eher so, dass der Delfin sich nach der Hand ausstreckte. Einer Hand, die so aussah, als gehörte sie gar nicht zu dem Mann‹.«
»Ich vermute, dass Donatella Bruno weitere Fragen gestellt hat?«, erkundigte sich Laima Balodis.
»Korrekt«, antwortete Paul Hjelm. »Auf Nachfrage hin ließ der moldawische Tourist verlauten, dass die Hand, die den Delfin gestreichelt hatte, ›unmännlich‹ aussah.«
»Was vermutlich eher etwas über den moldawischen Touristen aussagt«, meinte Söderstedt. »Aber uns möglicherweise auch noch etwas anderes mitteilt, nämlich über die Perücke und den künstlichen Schnauzbart.«
»Eine Frau?«, rief Beyer aus. »Verdammt.«
»Lasst uns die Aussage bei unseren weiteren Recherchen zumindest im Hinterkopf behalten«, sagte Hjelm, woraufhin erneut ein metallischer Klang von Sifakis’ Computer her ertönte.
»Ko Tarutao«, las Sifakis vom Bildschirm ab.
»Trotz dieses Wahnsinns«, sagte Marek Kowalewski, »würde ich gerne darauf hinweisen, dass jemand darauf brennt, die Insel zu besuchen, auf der die Dokuserie Expedition Robinson gedreht wurde. Ich werde dann mit bloßem Oberkörper und hohem Sonnenschutzfaktor nach mörderischen Mitteilungen aus dem Grafen von Monte Christo suchen. Ist Monte Christo übrigens nicht auch eine Gefängnisinsel?«
»Nein!«, rief Corine Bouhaddi unerwartet aufgebracht aus.
»Sorry ...?«, meinte Kowalewski erstaunt.
»Nein«, wiederholte Bouhaddi auf dem Weg zu ihrem Computer. »Die Gefängnisinsel im Grafen von Monte Christo heißt nicht Monte Christo, das ist ein häufig wiederholtes Missverständnis. Monte Christo ist die einsame Insel, auf der Dantès den Schatz von Abbé Faria entdeckt. Die Gefängnisinsel, auf der er vierzehn lange Jahre verbringt, heißt If und liegt in der Bucht unmittelbar vor Marseille. Ich habe sie als Polizistin in der Stadt täglich gesehen. Jeden Tag bin ich mit meinen Kollegen in ein Hafenlokal gegangen, habe ein vorzügliches Mittagessen zu mir genommen und
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