Zorn: Thriller (German Edition)
bemerkte Chavez leise.
»Jetzt kommt Frage drei«, erklärte Kerstin Holm. »Wie sind Sie eigentlich in einem so schicken Lokal wie dem Ljunggrens gelandet?«
»Weiß nicht«, antwortete Råglind ermattet.
»Sind Sie einfach nur die Götgatan entlanggegangen und dann irgendwo reingestolpert?«
»Ja. Nein. Nicht direkt. Taisir wusste, wohin.«
»Inwiefern wusste?«
»Als wir von der U-Bahn in die Götgatan hinaufkamen, sagte er: ›Folgt mir einfach.‹«
»Machte er das sonst auch? Die Führung übernehmen?«
»Selten. Er war nicht gerade der Anführertyp.«
»Und schließlich Frage vier«, sagte Kerstin Holm. »Können Sie uns helfen, eine Zeichnung von Wall-e anzufertigen? Bei der Gerichtsverhandlung wird es Ihnen letztlich zugutekommen.«
»Allerdings wird es Sie daran hindern, König von Kumla zu werden«, warf Chavez ein.
»Es gibt keine Könige mehr«, entgegnete Johnny Råglind. »Die gab es im Mittelalter. Dämlicher Bulle.«
Die beiden Polizisten standen auf. Råglind blieb sitzen.
Er erklärte: »Ja. Natürlich kann ich das.«
»Danke, Johnny«, sagte Kerstin Holm aufrichtig.
Holm und Chavez verließen den Raum. Vor dem Venezianischen Spiegel blieben sie stehen und schauten hindurch.
»Verdammt«, rief Chavez aus und warf einen kurzen Blick auf seine Chefin. »Wie hast du bloß diesen Nerv getroffen?«
»Es ist derselbe Nerv, den Wall-e getroffen hat. Unser Johnny ist ziemlich clever. Die Zeit hat ihn eingeholt, und er hat kapiert, was für ein Scheißleben er führt.«
»Das habe ich nicht gefragt. Ich meine, wie hast du seinen Nerv getroffen?«
»Simple Klassenanalyse«, antwortete Kerstin Holm. »Als ich den Ausdruck Upperclass-Schweine gehört habe, war alles glasklar.«
»Polizeiliche Vernehmungen sind doch ein übles Geschäft«, meinte Jorge Chavez.
»Wir sind die Psychoanalytiker der Raubritter«, entgegnete Kerstin Holm. »Ich habe es bisher nie so gesehen, aber eigentlich kämpfen wir gegen das Mittelalter in der Gegenwart.«
»Vermute ich richtig, dass hinter der ganzen Sache ein Plan steht?«
Kerstin Holm dachte kurz an ihren geliebten Paul Hjelm in Den Haag und antwortete dann: »Wenn wir einmal annehmen, dass der ansonsten nicht besonders tatkräftige Taisir Karir eine SMS mit der Aufforderung erhalten hat, sich mit seinen Begleitern ins Ljunggrens zu begeben, deutet das zweifellos auf einen umfangreichen Plan hin. Wir wissen natürlich nicht genau, aus welchem Grund sich die internationale Größe Isli Vrapi in der Stadt aufhielt, aber angeblich wegen eines Projekts mit geringem Risiko, also vermutlich ging es um einen neuen Kontakt. Verlockend, aber ohne beeindruckende oder gar beängstigende Zusammenhänge. Vielleicht hat also der geheimnisvolle Wall-e Isli Vrapi aus irgendeinem Kaff in Albanien nach Stockholm gelockt und dafür gesorgt, dass er sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in dem heruntergekommenen Pub in der Götgatan aufhielt. Im Laufe des Abends nimmt er Kontakt zu zwei frustrierten Kleinkriminellen auf, von denen einer Scharfschütze ist. Er weiß bereits im Voraus, dass er auf sie treffen wird, und hat eine geladene Handfeuerwaffe dabei. Dann sorgt er dafür, dass sich die gesamte bizarre Gang ungefähr eine Viertelstunde vor der mit Vrapi verabredeten Zeit in den Pub begibt. Als Isli Vrapi mit vier Leibwächtern und seiner gottvergessenen Art dort auftaucht, bemüht sich Wall-e, den Klassenhass, den Johnny Råglind und seine drei Kumpels in sich tragen, anzustacheln. Es gelingt ihm, ihre durch Rohypnol aufgeputschte Stimmung weiter hochzupeitschen. Schließlich sind sie so aufgestachelt, dass sie bei der Schießerei sogar einem alten Säufer ein Messer in den Leib rammen. In dem Augenblick verduftet Wall-e durch den Notausgang, ohne eine Spur zu hinterlassen. Ein absoluter Profi.«
»Jetzt brauchen wir nur noch einen Plan«, meinte Chavez.
»Der Plan«, fuhr Holm ungerührt fort, »besteht darin, zuerst eine vernünftige Polizeizeichnung anfertigen zu lassen und dann eine SMS zu finden, die an dem betreffenden Abend an Taisir Karirs Handy geschickt wurde. Des Weiteren müssen wir Zeugen aus dem Ljunggrens und der Straße auftun, in die der Notausgang des Pubs führt.«
»Denn wir wollen schließlich diesen geheimnisvollen Wall-e finden, richtig?«
»Es scheint so«, entgegnete Kerstin Holm knapp.
Globalisierung
Den Haag – Marseille, 24. Mai
Die Besprechung als Zusammenkunft zu bezeichnen war geradezu lächerlich. Paul Hjelm ließ seinen Blick
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