Zorn: Thriller (German Edition)
kompensiert.«
»Wie kamen Sie zu dieser Einsicht?«, wiederholte Kerstin Holm ihre Frage deutlich schärfer.
»Was reden Sie da, Frau Polizistin? Wir haben es kapiert. Wir ›kamen zu dieser Einsicht‹. Und es war eine verdammt große Herausforderung, diesen Idioten umzunieten. Und seine oberprofessionellen Leibwächter. Es hat in uns gebrodelt.«
»Also, es waren Sie, Taisir, die beiden Cousins und Wall-e anwesend«, vergewisserte Holm sich. »Können Sie beschreiben, wie Sie Ihre Überlegungen kommuniziert haben?«
»Was haben Sie geredet?«, verdeutlichte Chavez.
»›Können Sie beschreiben, wie Sie Ihre Überlegungen kommuniziert haben?‹, das hört sich tausendmal besser an als ›Was haben Sie geredet?‹, Sie dämlicher Bulle. Schon wieder ’n Understatement. Ich rede lieber mit Ihnen, Frau Polizistin.«
»Ich heiße Kerstin«, sagte Kerstin Holm und beugte sich vor.
»Gut«, entgegnete Råglind. »Nennen Sie mich Johnny.«
»Sie waren also so sauer auf diese Upperclass-Schweine, dass das Fass irgendwann überlief?«
»Genau ...«
»Sie sind clever, Johnny. Sie haben früher schon darüber nachgedacht, und in letzter Zeit immer öfter. Dass Sie Ihr Leben weggeworfen haben, als Sie noch viel zu jung waren. Wie oft haben Sie sich gewünscht, dass Ihr Leben eine andere Richtung eingeschlagen hätte. Aus Ihnen hätte ein berühmter und bewunderter Mann werden können, wenn Sie nicht auf die Schule gepfiffen und angefangen hätten, Drogen zu nehmen. Und all das kam Ihnen in dem Augenblick wieder in den Sinn, nur intensiver. Sie haben plötzlich kapiert, in was für einer verdammten Scheißwelt Sie leben. Eine primitive Scheißwelt, in der es kein bisschen menschlich zugeht. Und in der Sie gar nicht leben wollen. Johnny Råglind müsste eigentlich nicht Teil dieser Scheißwelt sein. Es fiel Ihnen wie Schuppen von den Augen. Korrigieren Sie mich, wenn ich falschliege, Johnny.«
Råglind schaute hinauf an die Decke. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er nachdachte. Er sah aus, als verursachten ihm diese Gedanken seelische Schmerzen.
»Sie haben Ihr ganzes Leben so verbracht«, fuhr Kerstin Holm fort. »Klar, dass Sie es die ganze Zeit über gewusst haben. Sie leben im Mittelalter, mitten in einem modernen Rechtsstaat. Alle Menschen in dieser Welt entwickeln sich weiter, nur Sie nicht. Sie haben es schon lange gewusst, wie abgefuckt Ihr Leben ist, aber an diesem Abend wurde es Ihnen ernsthaft klar. Korrigieren Sie mich, wenn ich falschliege.«
Råglind sagte kein Wort. Sein Blick war weit in die Ferne gerichtet.
»Jetzt möchte ich, dass Sie mir antworten, Johnny. Liege ich falsch?«
»Nein«, antwortete Johnny Råglind.
»Wie ging es weiter?«, fragte Kerstin Holm.
Im Raum war es totenstill. Schließlich antwortete Råglind: »Es war Wall-e. Er fing an, genauso zu reden wie Sie, Kerstin. Allerdings noch besser, entschiedener. Obwohl er richtig mieses Schwedisch sprach, hab ich plötzlich alles kapiert. Ich hab mein gesamtes Scheißleben vor mir gesehen.«
»Und wenn Sie die Herausforderung annähmen und den Mafioso töteten, würde sich Ihr Leben verändern«, sagte Holm. »Sie würden zu einer Legende werden.«
»Ich wusste ja, dass ich das Zeug dazu hatte«, entgegnete Råglind. »Mir ist klar geworden, dass es möglich war.«
»Danke«, sagte Kerstin Holm. »Dann habe ich nur noch vier Fragen.«
»Okay«, meinte Johnny Råglind. » Shoot, Kerstin.«
»Frage eins: Warum habt ihr den unbeteiligten Säufer Lasse Dahlis niedergestochen?«
»Er stand uns wohl im Weg«, antwortete Råglind und zuckte mit den Achseln. »’n richtig träger Säufer. Die idiotischen Cousins hatten ja überall Messer stecken. Liebten es geradezu, mit ihnen rumzufuchteln. Ich hab erst in den Zeitungen gelesen, dass es einen fünften Toten gab.«
»Frage zwei: Wohin ist Wall-e nach der Schießerei verschwunden?«
»Draußen auf der Straße habe ich die beiden idiotischen Cousins wie Geparden in unterschiedliche Richtungen fliehen sehen und Taisir in Richtung U-Bahn. Ich bin in die andere Richtung gerannt und hab noch mitgekriegt, wie dieser Muskelprotz ihm in den Rücken schoss. Feige Idioten. Im Laufen hab ich über die Schulter geschaut und ihn sterben sehen.«
»Aber Wall-e war nicht mehr da?«, fragte Kerstin Holm.
»Ich hab ihn nirgends gesehen«, antwortete Johnny Råglind. »War das Frage Nummer drei?«
»Wir wissen, dass es hinten bei den Toiletten einen leicht zu öffnenden Notausgang gibt«,
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