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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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darf nicht, verdammt!«
    Die Frau wackelte wie eine Stoffpuppe in seinen Armen.
    Der Kroate sah ihm eine Weile ruhig zu. Dann packte er Sauer von hinten am Kragen, zog ihn hoch und drehte ihn zu sich herum. Warf ihm einen nachdenklichen Blick zu, während er weiter auf seinem Apfel kaute.
    Dann holte er aus und gab ihm eine schallende Ohrfeige.
    »Du sollst die Fresse halten, Leutnant.«
    Sauer sah ihn ungläubig an und hielt sich die brennende Wange. Dann begann er, wie ein Kind zu weinen.
    Sivo puhlte ein Stück Apfel zwischen den Zähnen hervor, betrachtete es einen Moment und schnipste es dann mit den Fingern davon. »Versuche, wie ein Mann zu denken, Leutnant. Das hast du wahrscheinlich noch nie in deinem Leben getan, aber jetzt ist es Zeit, damit anzufangen. Das, was gerade passiert ist, war mindestens Totschlag, sehe ich das richtig?«
    Sauer schüttelte verwirrt den Kopf.
    »Wir sind zu dritt«, fuhr der Kroate ruhig fort. »Jeder von uns kann sich ausmalen, was passieren wird. Ich habe keine Lust, eine Untersuchung mitzumachen, die wird es nämlich geben, wenn du das hier meldest. Andererseits kann es mir egal sein, denn ich habe nichts zu befürchten. Ich bin hier nur der Spürhund, richtig?« Er tippte Sauer leicht auf die Brust. Der wich einen Schritt zurück. »Du hast hier das Kommando, das heißt, du trägst die Verantwortung für alles. Der da«, er deutete mit dem angebissenen Apfel auf Mahler, der abwesend vor sich hinstarrte, »kann dir im Moment nicht helfen, er ist wahrscheinlich noch betrunken. Du hast befohlen, dass er fahren soll.«
    »Ich habe nicht gewusst, dass –«
    »Du sollst still sein und zuhören. Ihr habt diese Frau getötet, wer von euch beiden die größere Schuld hat, ist egal. Aber ihr habt zwei Möglichkeiten. Die erste kennst du: Du meldest den Fall, und du weißt, was euch beide dann erwartet.«
    Sauer schluchzte auf.
    Der Kroate öffnete die Hecktür des Jeeps und holte einen Spaten heraus. Stieß ihn in die harte, trockene Erde.
    »Das hier ist die zweite.«
    »Ich verstehe nicht«, stammelte Sauer.
    »Sie ist Serbin, wahrscheinlich aus dem nächsten Dorf. Niemand wird sie vermissen.«
    »Ich weiß nicht, was du –«
    »Begrabt sie.«
    »Das kann ich nicht. Ich muss das melden.«
    Sivo zuckte die Achseln. »Tu das. Wie gesagt: Es ist deine Entscheidung.«
    Der Leutnant kämpfte mit sich. Dann fasste er einen Entschluss, der die restlichen neunzehn Jahre, die ihm noch zu leben blieben, bestimmen sollte.
    »Du wirst uns nicht verraten?«, fragte er.
    »Warum sollte ich? Ich tue euch bloß einen Gefallen. Und vielleicht komme ich irgendwann darauf zurück.«
    Sauer presste die Lippen aufeinander. Die Frau war tot. Egal, was er tat, daran würde sich nichts ändern. Er nickte und legte die Hand auf den Spaten.
    Es war ein Pakt, den er in diesem Moment schloss. Er wusste noch nicht, dass es ein Pakt mit dem Teufel war.
    »Sehr gut«, nickte Sivo. »Jetzt haben wir drei ein kleines Geheimnis.«

Vierundzwanzig
    »Eins versteh ich nicht«, sagte Zorn, nachdem er eine Weile nachgedacht hatte. »Nein«, korrigierte er sich dann, »es gibt einiges, was ich an deiner Geschichte nicht kapiere. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, aber erklär mir zuerst eines: Dass Sauer sich auf diese Geschichte eingelassen hat, klingt noch halbwegs logisch. Schließlich war er ein Opportunist und hatte nur seine Karriere im Kopf. Aber du? Es war ja nicht so, dass du mal eben bei Rot über die Ampel gefahren bist. Du hast einen Menschen getötet, Henning.«
    Mahler lachte freudlos auf. »Was du nicht sagst.«
    »Okay, du warst besoffen, aber warum hast du nicht dazu gestanden? Du wärst vor ein Militärgericht gekommen, und wahrscheinlich hätte man dich eingesperrt, aber danach hättest du das hinter dir gehabt.«
    Der Tunnel begann zu vibrieren. Erst ein wenig, dann stärker. Etwas Großes, Schweres rumpelte über sie hinweg. Nach ein paar Sekunden war es wieder vorbei. Eine feine Wolke aus Kalk und uraltem Staub rieselte auf sie hinab.
    »Das ist die Straßenbahn«, erklärte Mahler. »Sie fährt direkt über uns.«
    »Ich hab dich was gefragt, Henning.«
    Mahler betrachtete seine Fingernägel. »Ich weiß nicht, wie oft ich darüber nachgedacht habe. Ich … ich stand unter Schock, und … und als ich wieder halbwegs klar denken konnte, war das Mädchen längst unter der Erde.« Er blickte auf. »Es war einfach zu spät, verstehst du? Ich glaube, dass es Sauer genauso ging. Bevor wir

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