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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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B. ums Leben gekommen war. Stapic rechnete nach.
    Er zweifelte keine Sekunde, dass er der Vater dieses Jungen war.
    Stapic hatte keine Kinder. Er war jetzt bald sechzig, und so, wie es aussah, würde er keine Nachkommen mehr zeugen. Malina und er waren die letzten Überlebenden seiner Familie. Nach dem Tode des Bruders hatte er seine Nichte sofort zu sich genommen. Er hatte sie großgezogen, obwohl sie ihn auf seiner Flucht behinderte. Sie war nur ein Mädchen, aber sie gehörte zu seiner Familie, sie war Blut von seinem Blut.
    Sein erster Impuls war gewesen, Sigrun Bosch sofort zu töten. Er, der Letzte seines Clans, hatte einen Sohn gehabt, den sie ihm vorenthalten hatte. Ja, er hatte ihn nicht einmal kennengelernt. Schlimmer noch, diese unscheinbare Frau war für seinen Tod verantwortlich und schuld daran, dass Stapics Familie aussterben würde.
    Das war einer der wenigen Momente in seinem Leben gewesen, wo er fast die Kontrolle über seine Gefühle verloren hätte. Noch heute, Monate später, stieg diese wahnsinnige Wut in ihm auf und drohte, ihm den Atem zu rauben.
    Aber er hatte sich beherrscht.
    Es war klar, dass sie sterben musste, ihr Tod war eine Notwendigkeit gewesen. Sie hatte ihm den Sohn genommen, im Gegenzug würde sie ihr Leben verlieren. Es war eine einfache Rechnung. Sie musste bestraft werden.
    Er hatte lange überlegt, wie er vorgehen sollte.
    Im Kosovo hatte er Dutzende Menschen eigenhändig umgebracht, er hatte gelernt, leise, präzise, effektiv und gut zu töten. Noch besser allerdings war er, wenn er aus dem Hintergrund operieren konnte. Er kannte die Methoden, andere zu manipulieren und erpressbar zu machen wie kein anderer. Es gab Menschen, die in seiner Hand waren. Und er hatte sie benutzt, alle.
    Nicht alles hatte so funktioniert, wie er es geplant hatte, aber das Wichtigste war erreicht: Sigrun Bosch war tot. Er hatte den Sohn gerächt, den er nie hatte kennenlernen dürfen, den sie ihm verschwiegen hatte.
    Jetzt gab es nur noch eine Sache zu erledigen.
    Er verließ die Straßenbahn zwei Haltestellen, bevor er eigentlich aussteigen musste. Dann schlug er den Kragen hoch und machte sich auf den Weg.
    Mirko Stapic hatte eine Verabredung, und er würde pünktlich sein.
    *
    »Was hast du mit mir vor, Henning?«
    Mahler lehnte den Kopf an die Wand und sah zur Gewölbedecke. »Wenn ich ehrlich bin: Ich weiß es nicht. Mein Plan war, dich hierher zu bringen und dir alles zu erzählen. Was dann mit dir passiert, habe ich noch nicht überlegt.«
    Zorn zog unauffällig an den Fesseln um seine Handgelenke. Sie taten nicht weh. Aber sie waren so fest, dass er sich unmöglich befreien konnte.
    »Und? Hast du?«, fragte er dann.
    »Was habe ich?«
    »Alles erzählt?«
    »Noch nicht.« Mahler sah auf die Uhr. »Wir haben noch Zeit, du erfährst den Rest, bevor ich mich mit ihm treffe.«
    »Mit wem?«
    »Das weißt du, Claudius.«
    »Stapic?«
    Mahler nickte nur.
    Zorn richtete sich wütend auf, doch die Fesseln hinderten ihn. Er sank wieder zurück.
    »Sag mir, wo ihr euch trefft, Henning. Dann mach mir endlich diese Dinger ab und lass mich gehen, ich hole Verstärkung. Wenn alles stimmt, was du erzählt hast, wirst du niemals allein mit ihm fertig, verdammt nochmal!«
    »Du hast recht«, sagte Mahler leise. »Aber es ist längst nicht so einfach, wie du dir das in deinem kleinen Polizistenhirn vorstellst.«
    »Dann erklär’s mir, wenn ich so bescheuert bin!«
    Mahler starrte auf einen Punkt, der mindestens zwei Meilen entfernt sein musste. »Ich habe meine Familie geliebt. Es ist das totale Klischee, aber Clara und die Kinder waren alles, was mir jemals wichtig war.«
    »Du hast noch ein Kind, Henning.«
    »Ella ist ebenfalls so gut wie tot.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Weil er sie geholt hat.«
    »Stapic hat deine Tochter entführt?«
    »Ja«, sagte Mahler einfach. »Der Mann, der Ella damals überfahren hat, war ebenfalls Stapic. Und er war es auch, der meine Frau überfallen und vergewaltigt hat, kurz bevor sie sich die Pulsadern aufgeschnitten hat.«
    Mahler fuhr sich mit der Hand über die Augen.
    Glaubst du jetzt, dass ich es ernst meine, Jungchen? Ich habe noch weitere Argumente, mit denen ich dich überzeugen kann.
    Zorn wusste nicht, was er sagen sollte. Eine Weile saßen sie sich schweigend gegenüber. Dann versuchte er es ein weiteres Mal.
    »Henning, du brauchst Hilfe, und ich kann –«
    Mahler hob die Hand. Einen Moment sah es aus, als wolle er Zorn schlagen. Dann beugte

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