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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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er sich vor, bis sein Gesicht nur ein paar Zentimeter von ihm entfernt war.
    »Hör auf mit dieser Scheiße!«, zischte er. »Ich will keine Hilfe. Wenn ich nicht allein komme, wird er keine Sekunde zögern. Er wird sie sofort töten. Du müsstest am besten wissen, wozu er fähig ist.«
    »Wie meinst du das?«
    »Du hast Tom ausgegraben. Du weißt, wie er aussah.«
    »Was?«
    »Tom war der Erste, den er sich geholt hat.«
    *
    Es war ein einfacher Windstoß, der schließlich den Ausschlag gab. Die Weide an der Flanke des Dammes neigte sich erst langsam, dann immer schneller. Einen Moment schien es, als würde der Stamm brechen, dann mischte sich das Knacken des berstenden Holzes mit einem tiefen, schmatzenden Geräusch, als die Wurzeln endgültig den Halt verloren und das nasse Erdreich aufrissen. Der entwurzelte Baum krachte auf die feuchte Wiese. Dort, wo er soeben gestanden hatte, war jetzt ein Loch.
    Eine Weile war es still.
    Zunächst erschien ein schmales, fingerdickes Rinnsal, das sich seinen Weg glucksend durch das Loch bahnte, als würde der Fluss eine Vorhut schicken, die das Terrain sondieren sollte.
    Dann kam das Wasser.
    Es war, als würde ein lautloser Sprengsatz gezündet. Innerhalb weniger Sekunden hatte das Loch einen Durchmesser von ein paar Metern, die Flut wälzte sich schäumend hindurch, Erdreich wurde mitgerissen, der asphaltierte Radweg auf der Dammkrone beiseitegeschoben wie ein Stück Pappe.
    Sekunden später wälzte sich eine schlammige Flutwelle auf die Innenstadt zu.
    Der letzte Damm war gebrochen.
    *
    Kurz vor neun erreichte Schröder die Bar. Die von der Explosion zerstörten Fenster und die Eingangstür waren bereits notdürftig mit Spanplatten vernagelt worden. Schräg gegenüber parkte ein Streifenwagen. Schröder nickte den beiden Beamten zu, stemmte sich mit der Schulter gegen die verzogene Tür und ging hinein.
    Sie hatten Stapics Wohnung gründlich durchsucht, jedoch nichts Nennenswertes gefunden. Jetzt hoffte Schröder, in der Bar einen Hinweis zu entdecken. Wonach genau er suchte, wusste er nicht. Stapic jedenfalls war bisher verschwunden geblieben.
    Glassplitter knirschten unter seinen Füßen, als er den Innenraum betrat. Der Spiegel hinter dem Tresen war geborsten, eines der riesigen Aquarien war ebenfalls zu Bruch gegangen. Er bemerkte eine große Pfütze, die bereits an den Rändern zu trocknen begann. Die große Deckenlampe baumelte schief über dem Tresen. Der Korditgestank der Explosion hing noch in der Luft und mischte sich mit dem Geruch von abgestandenem Bier.
    Schröder steckte die Hände in die Hosentaschen und sah sich um. Nach kurzem Überlegen wandte er sich nach hinten und ging in den Innenraum, von dem die Toiletten abgingen. Hier war es stockdunkel, er tastete über die Wand und hatte nach kurzem Suchen den Lichtschalter gefunden.
    Das Büro des Kroaten war verschlossen. Er kramte das Bund mit den Dietrichen hervor und stand einen Augenblick später vor Stapics Schreibtisch.
    Am Fenster befand sich ein großer, bequemer Ledersessel, gegenüber bemerkte er ein hohes Regal, das mit Aktenordnern gefüllt war. Zwei große Lautsprecherboxen waren an der Wand befestigt, zwischen ihnen hing in einem vergoldeten Rahmen ein Aquarell, das eine kitschige Landschaft am Mittelmeer zeigte. In der Ecke neben der Tür lagen Hunderte CD s übereinandergestapelt auf dem Boden. Er trat näher und sah, dass es sich ausschließlich um klassische Aufnahmen handelte: Vivaldi, Brahms, Chopin. Und immer wieder Mozart.
    Schröder ging über den dicken Teppich zum Regal, hockte sich hin und nahm einen der Ordner. Blätterte durch Monatsabschlüsse, säuberlich geordnete Quittungen und Gehaltsabrechnungen. Er schob den Ordner zurück und wollte wieder aufstehen, doch dann sah er auf dem Boden etwas, das ihn stutzig machte.
    Schleifspuren.
    Als wäre das Regal kürzlich bewegt worden. Er stieß einen leisen Pfiff aus und richtete sich auf. Das Regal ließ sich mühelos beiseiteschieben. Dahinter befand sich eine in die Wand eingelassene Tür.
    Sie war nicht verschlossen.
    *
    »Ich verstehe das nicht.« Zorn schüttelte verwirrt den Kopf. »Wieso sollte Stapic deine gesamte Familie auslöschen wollen? Aus welchem Grund?«
    Henning Mahler sah plötzlich sehr müde aus.
    »Er ist der Teufel. Und der Teufel braucht keine Gründe.«
    »Schwachsinn. Selbst der Teufel hat Motive für das, was er tut!«
    »Er wollte, dass ich ihm helfe«, seufzte Mahler. »Als ich mich geweigert habe, hat er

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